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Biografische Information und Verfilmung

Leseecke: Georg Elser

Seit 8. April läuft in einigen Hamburger Kinos (Passage, Zeise, Koralle, Abaton) ein Film über einen Mann, der aufgrund seiner sachlichen Beobachtung der politischen Entwicklung in den 30er Jahren sich entschloss, durch die Vernichtung Hitlers den Gang der Geschichte zum Besseren zu wenden, dieses insgeheim minutiös plante und ganz allein am 8. November 1939 durchzuführen versuchte.

Bekanntlich rettete wieder einmal "die Vorsehung" Hitler, der eine Jubiläumsveranstaltung im Münchner Bürgerbräukeller überraschend vorzeitig verliess. Elser verschwand nach vielen qualvollen Verhören, die ihm Geständnisse über die Mitbeteiligung auch ausländischer Verschwörergruppen entreissen wollten, im KZ Dachau, wo er am 9. April 1945 erschossen wurde.

Sei es nun, weil sogar einige der Hitlergegner glaubten - wie z.B. der bekennende Christ Martin Niemöller - dieser missglückte Anschlag auf Hitler sei eigentlich eine Inszenierung der Nazis gewesen, mit der sie Hitlers Position unter dem Schirm der Vorsehung hervorheben wollten, sei es, weil eine Art kollektiven Schamgefühls gegenüber der Tapferkeit eines Einzelnen zur Verdrängung eigener Ängste und Bewusstseinstrübungen verhalf - ganz im Gegensatz zu den Gruppen der späteren Widerstandskämpfer ("Weisse Rose" und Stauffenberg- Gruppe) - geriet der Handwerker Elser in Vergessenheit.

Erst 30 Jahre später - (zunächst Max Domarus, Würzburg 1973 und Rudi Goguel, Berlin/DDR 1975) interessierte man sich, mit der intensiveren Erforschung des Widerstands im 3. Reich zunehmend für Elser. Es gibt Einzeldarstellungen (z.B. von Peter Paul Zahl, Berlin 1982, von Ulrike Albrecht, München 1987) und Berichte in Handbüchern (z.B. Lexikon des Widerstandes 1933 bis 1945, hrsg.von P. Steinbach und J. Tuchel, München 1994).

Auch Filme, darunter sicher sehenswerte mit Karl Maria Brandauer in der Titel- Rolle, gab es bereits, bevor Oliver Hirschbiegel sich der historischen Geschehnisse neuerdings wieder angenommen hat, vermutlich auch angesichts der unübersehbar erstarkenden rechten Aktivitäten.

Obwohl in der Programmübersicht keine besondere Textgrundlage genannt wird, scheint mir eine für die Entnahme biografischer Einzelheiten, Charakter- und Milieuschilderung, Tathergang und einzelner Dialoge besonders geeignet gewesen zu sein:

Christian Graf von Krockow (1927 - 2002): Porträts berühmter Manner. Von Martin Luther bis zur Gegenwart. München: List/Ullstein Verlag 2004. TB 499 S., 9,95 €. ISBN 3-548-60447-1.

Darin: Georg Elser. S. 337 - 378. "Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat” mit diesem Zitat aus Verkündigungen des göttlichen Gebots belegt v. Krockow in seiner Einleitung das seiner Meinung nach von den Deutschen seit Jahrhunderten verinnerlichte Scheitern oder den nur kurzfristigen Erfolg ihrer Revolutionen. (S. 339 f.)

Nach den undurchschaubaren Unruhen nach 1918 erschien "nationalsozialistische Machtergreifung" (.) sehr bald einer wachsenden Mehrheit der Deutschen als (.) Wiederherstellung der ersehnten Ruhe und Ordnung.(...) Kurzum: Auf einen Widerstand gegen die Gewaltherrschaft oder gar darauf, sie mit Gewalt zu beseitigen, waren die Deutschen nicht vorbereitet. (… S. 349)

Vor den Hintergrund vereinzelt prononcierten Widerstands z.B. aus den Reihen der Kirchen (Bonhoeffer), allgemeiner Lähmung, oder fanatischen Optimismus' stellt v. Krockow den Schreiner Georg Elser als "denkwürdigen Aussenseiter, (.) ein einfacher Mann ohne höhere Bildung. Kein fest begründetes Milieu, keine Organisation, Partei oder Weltanschauung stand hinter ihm. Er verfügte über keine Helfer und von Hause aus über keinerlei Machtmittel. Aber glaubte und bewies, dass man etwas tun konnte. Er wollte den Tyrannen töten (…) Ohne Anleitung baute er die perfekte Höllenmaschine und berechnete ihre Wirkung weitaus exakter als fronterfahrene Offiziere Stauffenbergs Bombe. Zudem (…) opponierte er schon am Anfang und nicht erst in der Spätphase des Zweiten Weltkrieges. (…) Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte sein Erfolg die deutsche und europäische Katastrophe abgewendet (…)" (S.342).

Auf die Inhalte dieses rühmenden Resumées, sowie auf die später geschilderten biografischen Einzelheiten geht Hirschbiegel mit prägnanten Verbildlichungen in den Filmszenen ein, z.B. in der Darstellung der ruinösen Familie Elsers, in der die für Elser verbindliche Frömmigkeit der Mutter die Teilnahme an nationalsozialistisch positiv gestimmten Veranstaltungen verhindert, in der Veranschaulichung von Elsers charakteristischem Fleiss, seiner Genauigkeit und Kreativität bei der Arbeit als Schreiner und Uhrmacher, Eigenschaften, die er später bei seinen Attentatsvorbereitungen einsetzt, in Szenen, die Elsers nüchterne Äusserungen zur sozialen Lage der Deutschen und zur kommenden Kriegs- Katastrophe wiedergeben.

Zunächst aber zeigt Hirschbiegel in der 1. Szene die ausserordentliche handwerkliche und körperliche Anstrengung, die Elser sich nachts abverlangt beim Anbringen der Bombe im Schaft einer Holzsäule, die ein Stockwerk über dem für Hitler aufgestellten Vortragspult steht. Sein mutiger Alleingang, bezogen auf sein Attentat, und sein Risiko werden hier durch die ihn umgebende Leere der nächtlichen Räume und sein oft lautes Hämmern, das seine Entdeckung befürchten lässt, sehr sinnfällig. Sehr zügig folgen Elsers missglückte Flucht noch während des zwischenzeitlich missglückten Attentats, seine (brutalen) Verhöre - teils in geschickten Schnitten verbunden mit seinem biografischen Werdegang, der ihn, z.B. als Mitglied einer Musikkapelle, als sozial anerkannt zeigt und auch durchaus beliebt bei den Frauen. (Mit einzelnen aufdringlichen Liebesszenen biedert sich Hirschbiegel irgendeinem vermuteten zeitgenössischen Publikumsgeschmack an.) Elsers spätere Verhöre, in denen er in der Erläuterung des Baus seiner Höllenmaschine sogar Fachleute der Nazis durch seine Intelligenz verblüfft, sowie die interessante Argumentation zur Rücknahme seines Opposition sind bei v. Krockow lesens - und im Film sehenswert.

Der Besuch ist zu empfehlen.

Autor: VHSt

HBZ · 05/2015
 
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