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ÖRA

Zur Geschichte der Öffentlichen Rechtsauskunft in Hamburg

Die ÖRA ist bekannt als kompetente Rechtsberatungsstelle und als Mediationsstelle. In rund 2500 Fällen pro Jahr wurde sie mit dem ausdrücklichen Auftrag angerufen, außergerichtliche Verhandlungsinstanz zu sein. Bei der ÖRA-Vergleichsstelle liegen die Vorteile auf der Hand: Unter der Vermittlung von besonders erfahrenen und qualifizierten Vorsitzenden lassen sich Rechtskonflikte vertraulich, - schnell, - kostengünstig, - verbindlich und vollstreckbar erledigen.

So kann z. B. die ÖRA kann in allen zivilrechtlichen Rechtskonflikten vermitteln. Eine Begrenzung in der örtlichen Zuständigkeit auf Hamburg existiert nicht, soweit das Rechtsproblem Bezug zum deutschen Rechtsraum hat. Es herrscht kein Anwaltszwang, aber selbstverständlich besteht die Möglichkeit, sich anwaltlich beraten oder vertreten zu lassen.

Rechtsstreitigkeiten sind oft unvermeidbar, denn unterschiedliche Rechtsauffassungen, unterschiedliche Sichtweisen des tatsächlichen Ablaufs von Geschehnissen und deren verschiedene Bewertung sind so selbstverständlich wie die Menschen unterschiedlich sind. Nicht selbstverständlich ist jedoch, dass die Parteien jeden daraus herrührenden Konflikt vor Gericht austragen müssen. Der Weg des Gesprächs mit dem Ziel einer gütlichen Verständigung nach sorgfältiger Prüfung der Rechtslage durch den Vorsitzenden oder die Vorsitzende ist häufig der bessere. Das zeigt die Erfahrung. Seit 1924 ist es gelungen, in mehr als 100.000 Fällen den Streit sach- und interessensgerecht beizulegen.

Das bietet die ÖRA:

Rechtsberatung

Die Beratung in allen Rechtsgebieten erfolgt durch erfahrene Spezialistinnen und Spezialisten. Beraten werden Menschen, die in Hamburg leben oder arbeiten und bezüglich dieses Arbeitsverhältnisses beraten werden möchten und die nur über ein geringes Einkommen und geringes Vermögen verfügen. Sie kann Sie nicht beraten, falls Sie in der Sache schon anwaltlichen Rat haben, Rechtsschutz versichert sind oder über die Gewerkschaft oder Interessenverbände (zum Beispiel Mieterverein) Rechtsrat erhalten können.

Streitschlichtung

(Güteverfahren) wird in zivilrechtlichen Angelegenheiten für alle natürlichen und juristischen Personen innerhalb und außerhalb Hamburgs angeboten. In gewissen strafrechtlichen Angelegenheiten übernimmt sie Streitschlichtungen (Sühneverfahren), sofern die beschuldigte Person in Hamburg lebt. Sie agiert häufig in zivilrechtlichen Streitigkeiten des täglichen Lebens, wie zum Beispiel Mietkonflikten, Baukonflikten, Handwerkerforderungen, Darlehen, mangelhafte Leistungen, Nicht- oder Schlechtlieferung sowie Trennungs- und Scheidungsfolgen.

Ebenso wird sie tätig in handels- und versicherungsrechtlichen Fällen, Fällen mit Auslandsberührung und Arzthaftungsfällen. Ziel ist es, eine für alle Beteiligten befriedigende Lösung zu finden.

Strafrecht: Sühneverfahren

In strafrechtlichen Angelegenheiten kann die ÖRA in den sogenannten Privatklagedelikten - zum Beispiel leichte Körperverletzung, Beleidigung oder Hausfriedensbruch - außergerichtlich zur Wiedergutmachung des Schadens beitragen.

Geht es Ihnen angesichts einer möglichen Straftat nicht um die Strafverfolgung, sondern lediglich um die zivilrechtliche Wiedergutmachung, so können Sie selbstverständlich mit Hilfe der ÖRA zivilrechtlichen Schadensersatz oder Schmerzensgeld geltend machen.

Der Verlust der Ansprüche kann aber auch durch Einleitung eines außergerichtlichen Güteverfahrens bei der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle Hamburg (ÖRA) vermieden werden. Dies verursacht geringere Kosten als eine Klage. Eine Vertretung durch einen Anwalt ist zudem möglich, aber nicht Pflicht.

Mediation wird angeboten in familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten sowie im Arbeits- und Wirtschaftsrecht.

Geschichte

Die Gründungsphase der ÖRA geht zurück bis an das Ende des 19. Jahrhunderts und Beginn des 20. Jahrhunderts. Zeitgleich mit der Einführung des BGB im Jahre 1900 und im zeitlichen Zusammenhang mit der Abfassung der ZPO (1877), die auch damals schon Regelungen zum Armenrecht beinhaltete, wurde in weiten Kreisen der Justizöffentlichkeit die Thematik der außergerichtlichen gütlichen Einigung und Schlichtung diskutiert. Neben einer Vielzahl von anderen Einrichtungen, die auf lokaler Ebene tätig wurden, konstituierte sich im Jahre 1922 die Öffentliche Rechtsauskunft und Gütestelle (Ragü) in Hamburg.

Hauptinitiatoren waren neben den staatstragenden, aber demokratisch gesinnten Teilen der Hamburger Justiz bedeutende Vertreter/innen der hamburgischen Arbeiterschaft und der Frauenbewegung. In den Hochzeiten der Arbeit des Volksheimes e.V. waren 70 juristische Mitarbeiter in den Rechtsantragsstellen tätig.

Die ÖRA bis 1922

Das Arbeitersekretariat Altona/Ottensen eröffnete seine Tätigkeit am 1. Juli 1900, das Arbeitersekretariat Hamburg am 1. September 1900, das Arbeitersekretariat Harburg am 1. April 1902, weitere Arbeitersekretariate folgten. Der Zentralverband der Hausangestellten Deutschlands, in dem in Hamburg im Jahre 1909 allein 8000 Dienstmädchen organisiert waren, eröffnete seine Beratungsstelle am 1. April 1909.

Der deutsche Frauenverein, Ortsgruppe Hamburg, verfügte seit dem 27. Juni 1896 über eine Abteilung Rechtsschutz und beriet Frauen in ihren rechtlichen Angelegenheiten und förderte das Rechtsbewusstsein von Frauen durch Vorträge, Diskussionen und Bildungsveranstaltungen.

Der Verein Frauenwohl, der der radikalen Frauenbewegung zuzurechnen war, eröffnete seine Beratungsstelle am 19. Januar 1900. Die Rechtsberatungen fanden zum damaligen Zeitpunkt beispielsweise in den Häusern des "Volksheim e.V." sowie im "Curio-Haus", Rothenbaumchaussee 15, Hinterhaus, oder im Heim für junge Mädchen, Große Bleichen 64, statt.

Der größte Träger der Rechtsberatung in Hamburg - das Volksheim e.V. - richtete 1909 an den Senat das Gesuch, für den dargelegten Zweck eine einmalige Beihilfe in Höhe von 2500 Mark und ferner einen laufenden Zuschuss von 7500 Mark jährlich zu gewähren. Jedoch erst 1912 auf erneuten Vorstoß des Bürgerschaftsabgeordneten Dr. Matthaei (seinerzeit Richter, nachmals Senator) unter Einbeziehung positiver Stellungnahmen der Deputation Handel, Schifffahrt und Gewerbe sowie der mittlerweile positiven Auffassung der Hanseatischen Anwaltskammer wurde ein staatlicher Zuschuss von 10000 Mark jährlich auf die Dauer von 5 Jahren bewilligt.

Träger war der am 11. November 1913 gegründete hamburgische Verein der gemeinnützigen und unparteiischen Rechtsauskunftstelle. Die Räume der Öffentlichen Bücherhalle an den Kohlhöfen wurden zur Verfügung gestellt.

Erst mit der Eröffnung des Hamburgischen Wohlfahrtsamtes (Vorläufer der heutigen Sozialbehörde) 1920, das von Anbeginn an die "geordnete Rechtsfürsorge für Unbemittelte für die gesamte Wohlfahrtspflege von Bedeutung" ansah und deshalb die Öffentliche Rechtsauskunft als die ureigene Aufgabe verstand, wurde die Grundlage für die heutige Arbeit der ÖRA gelegt.

Die ÖRA von 1922 bis 1933

Das Jahr 1921 ist angefüllt mit regelmäßigen Sitzungen des Wohlfahrtsamtes, an denen Vertreterinnen der Frauenvereine, der Arbeitersekretariate, des Volksheimes, des Arbeitsamtes und natürlich des hamburgischen Vereins teilnahmen. Stellenpläne wurden erörtert, und schließlich wurde am 4. Oktober 1922 die Rechtsauskunftstelle als Teil des Wohlfahrtsamtes eröffnet.

Mit der Novellierung der ZPO und der Einfügung des damaligen § 495a Abs. 1 Ziff. 1 am 1. Juni 1924 wurden Gütestellen gesetzlich verankert, und schon am 13. September 1924 erklärte die Justizverwaltung die Öffentliche Rechtsauskunft zur Gütestelle im Sinne des §495a Abs. 1 Ziff. 1 ZPO. Die Rechtsauskunft und Gütestelle, die nunmehr unter der Abkürzung Ragü firmierte, erhielt eine Geschäftsordnung und hatte ihre Diensträume in der ABC-Straße 46/47. 8 Bezirksstellen gehörten mit zur Hauptstelle.

In den Jahren bis 1933 erblühte die Ragü. Sie war Vorbild für vergleichbare Bestrebungen in Deutschland und arbeitete nach wie vor im Verband der Rechtsauskunftsstellen mit. Der Verband gab eine eigene Zeitschrift heraus.

Nebentätigkeiten, wie die Übernahme der Aufgaben des Mieteinigungsamtes (1924) und die Entgegennahme von Kirchenaustrittserklärungen (1929), wurden damals, ebenso wie später die Erteilung von Armenrechtszeugnissen, von der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle geleistet.

Die ÖRA von 1933 bis 1945

Die gesicherte Einbindung der hamburgischen Ragü in das Wohlfahrtsamt bewirkte auch, dass die anderenorts schon im Juli 1933 abgeschlossene Einverleibung der Öffentlichen Rechtsauskunftsstellen in die NS-Rechtsbetreuung in Hamburg seine Zeit dauerte!

Mit der Überleitung der Ragü auf die NS-Rechtsbetreuung ist die Zahl der Beratungen und Gütesachen in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur drastisch gesunken. Mit dem 1. September 1943 wurde in Hamburg die NS-Rechtsbetreuung auf Anordnung Hitlers direkt von der Gauleitung übernommen und war damit auch offiziell eine reine Parteiangelegenheit.

Die demokratischen Kräfte konnten sich kaum mehr legal äußern - jedenfalls nicht in offiziellen Ragü-Hauptakten. Freiheitlich gesinnte Publikationen - wie etwa "Die Rechtsauskunft" - wurden eingestellt.

Die ÖRA von 1946 bis 1997

Schon am 4. Februar 1946, noch unter britischer Oberhoheit und noch vor der Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949, wurde die Ragü jetzt als ÖRA wieder eröffnet. Neben den Aufgaben der Rechtsauskunft und Gütestelle kam als drittes Element die ÖRA als Vergleichsbehörde im Sinne des §380 StPO hinzu. Dr. Hannes Kaufmann (Arbeitsgerichtdirektor i.R.) übernahm wiederum die Leitung. Untergebracht war die ÖRA zunächst in den Räumen des Ziviljustizgebäudes, gemeinsam mit der "Vertrauensstelle für Verlobte und Eheleute", mit der "Deutschen Zentralstelle zur Bekämpfung der Schwindelfirmen e.V. " sowie mit "Pro Honore, Verein für Treu und Glauben im Geschäftsleben e.V." Mit all diesen Einrichtungen arbeitet die ÖRA auch noch heute eng zusammen, sei es über die Mitgliedschaft im Verband der Rechtsauskunftstellen, sei es über die thematische Kooperation im Zusammenhang mit der außergerichtlichen Regelung von Trennung und Scheidung (Mediation).

Zunächst jedoch musste sich die ÖRA räumlich und organisatorisch neu konstituieren. Ihre Geschäftsräume bezog sie im Dammtorwall.

Der Gesetzgeber hat sich mit der Verabschiedung des Rechtsberatungshilfegesetzes vom 18.Juni 1980 grundsätzlich für die Angliederung an die Anwaltschaft entschieden, wobei für die Länder Berlin, Bremen und Hamburg Ausnahmeregelungen abgesichert wurden. Die Vorteile eines sehr breiten, qualifizierten, bürgernahen und streitschlichtenden sowie zudem kostengünstigen Verfahrens hat sich damit für Hamburg durchsetzen können.

Inhaltlich und organisatorisch ist die ÖRA bis heute in ihren guten Traditionen verwurzelt, und es gehört nach wie vor zum guten Ton unter der hamburgischen Juristenschaft, im Rahmen der ÖRA ehrenamtlich tätig zu werden. Mit ausgesuchter fachlicher und persönlicher Qualifikation widmen sich ehrenamtliche Juristinnen und Juristen, Verwaltungs- und Schreibkräfte der ratsuchenden Bevölkerung sowie den Parteien im Güte- und Sühneverfahren. Dabei profitieren auch Beraterinnen und Berater von der interdisziplinären Zusammenarbeit.

Die Freie und Hansestadt Hamburg konnte schon von 1946 bis 1980 auf ein gut funktionierendes System der Rechtsberatung und außergerichtlichen Streitschlichtung verweisen.

Sie war damit 34 Jahre der bundesweiten Regelung voraus. Und auch nach 1980 war das Hamburger Angebot im Gegensatz zum restlichen Bundesgebiet weiterhin auf Angelegenheiten des Arbeits-, Sozialversicherungs- und des Steuerrechtes ausgelegt. Dies war ein Privileg, das sich die Bürgerinnen und Bürger des Bundes erst durch eine erfolgreiche Verfassungsklage 1993 sowie der anschließenden Novellierung des Beratungshilfegesetzes vom 14. September 1994 erstreiten mussten.

Autor: VHSt, (Quelle: ÖRA / Hamburg.de)

HBZ · 02/2017
 
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