VHSt - Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
 
Aktuelle Ausgabe
Titelfoto: © Ansicht des Chilehauses (c) stahlpress

Das Mitgliedermagazin

Hamburgische Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

 

Mitglied werden

Profitieren Sie von der Mitgliedschaft im VHSt. Einfach ausdrucken und ausgefüllt an uns senden.

 

BESONDERE VERANSTALTUNGEN


 

Top-Themen

Buchtipps

Leseecke

Eine "Lese-Ecke" kann bei eisigem Wetter leider keine Kuschelhöhle bleiben, insbesondere, wenn sie ein Stockwerk über einem Hauseingang liegt, den sich ein Wohnungsloser als Unterkunft ausgesucht hat.

Empfohlen als Lese-Einführung in die Problematik sei dennoch das kleine Heft Ein mittelschönes Leben. Ein Kinderbuch zur Obdachlosigkeit mit Text von Kirsten Boie und Zeichnungen von Jutta Bauer: Hamburg: Zucker-Agentur für Texte und Bilder, 3. Auflage 2010. 28 S. 4,80 v. ISBN 978-3-00-026146-6.

Dieses wurde im Rahmen eines Projekts, zusammen mit zwei Hamburger Grundschulklassen schon 2008 ausgearbeitet - die geschilderten Probleme haben sich inzwischen wohl noch verschärft.

In dem Text werden klar und gut nachvollziehbar einzelne Stationen dargestellt, die den Weg in die Obdachlosigkeit kennzeichnen. Der fiktive Lebenslauf des geschilderten "Mannes" enthält - so unterschiedlich er in der Realität im Einzelfall aussehen mag - sicherlich einige allgemeingültige Konstanten: Menschliche Enttäuschungen, Arbeitsverlust, Alkoholkonsum, Pessimismus mit wachsender passiver Haltung. Die Auseinandersetzung mit Institutionen und Leidensgenossen wird nicht mehr ertragen. Das führt dazu, sich abzusondern und - wohnungslos in Unterständen zu warten, auf persönlich akzeptable Hilfe, die höchstens manchmal in kleinen Geldbeträgen kommt. Hinter der Darstellung (auch in den Zeichnungen) steckt Verständnis und Freundlichkeit, die geeignet sind, Vorurteile zu bekämpfen.

Tatsachenbericht: Ein eisiger Februarabend um 19 Uhr. An der Bushaltestelle Dammtorbahnhof sitzt ein älterer Mann. Bei seinem gebeugten Kopf kann man sein Gesicht nicht sehen, aber er hält eine Hand ausgestreckt. Daran sind nur drei Finger. Einige Leute legen ihm Geld in die Hand, ich auch. Mein Bus ist schon in Sicht. Dann sehe ich, dass der Mann weint, keineswegs demonstrativ. Aber ich bin nach der Arbeit so müde, und das diesige Wetter sitzt schmerzhaft in meinen Gelenken, habe auch in der Strasse schon meinen "Stamm-Rumänen", der sich ein bisschen auf mich verlässt - der Mann hier muss doch in Hamburg die Hilfsadressen, mindestens am Hauptbahnhof kennen! ... Ich nehme also meinen gerade eintreffenden Bus und fahre mit miesem Gefühl nach Hause.

Derart gewissensmässig präpariert empfinde ich weder Überraschung noch Ablehnung, als am nächsten Morgen im tiefliegenden Eingang unseres Mietshauses ein Obdachloser hockt, der schon seit Herbst verschiedene Eingänge der Häuserzeile besetzt, hauptsächlich Eingänge zu Geschäftsräumen, die noch ausgebaut wurden. Dort lag er den ganzen Tag neben einem Plastiksack und las. Kein Pappbecher war aufgestellt, einen Schlafsack zur sich verschärfenden Witterung wollte er nicht, "alles o.k." signalisierte er. Vielleicht verstand er mich auch nicht, denn er ist Pole, wie sich später herausstellt. Nun ist er bei uns, hat eine Decke über den Kopf gezogen und sitzt etwas unbequem für uns quer zur Laufrichtung und gut sichtbar aus den grossen Fensterscheiben des anliegenden Restaurants für die Besucher, die dort essen. Jetzt steht vor ihm ein Pappbecher - nur kleine Münzen darin. Eine alte Dame, auch ich, stecken ihm in täglicher Eile schon mal einen kleinen Schein zu, das Restaurant bietet ihm Essen an, das er aber ablehnt. So wenig wie möglich will er auffallen. Leider lassen sich aber seine menschlichen Spuren nicht verbergen, die er über ein Gitter innen an der Kellerwand hinterlässt.

Der Hausverwalter scheint die Situation noch nicht wahrgenommen zu haben, also werden einige auch mir kaum bekannte Mieter tätig und hinterlassen Zettel im Hausflur. Frühmorgens, zwei Tage später - die Kälte ist bissig geworden - sitzt der Mann in einem kleinen Chaos von Papier, Essensbrocken, Flaschen. Er streckt zitternd seine Hände aus. In beruflich bedingter Eile informiere ich die Restaurantbesitzer, die bereits nach einem Krankenwagen telefonieren.

Die Hilfe scheint spät einzutreffen, denn nachmittags, bei meiner Rückkehr, bekomme ich mit, wie ein Krankenwagen ihn wegbringt. Ins UKE solle er, sagen die sich freundlich verhaltenden Polizeibeamten. Ja, man kenne ihn; er sei Pole, um 30 Jahre, übrigens Ingenieur, er wolle in kein städtisches (Winter-) Hilfsprogramm, sondern hier, in dieser Strasse, bleiben. Da könne man nichts tun. Restaurant-Leiter und ich sind angesichts der UKE-Unterbringung zunächst erleichtert, aber für alle Fälle versuche ich, nach Ansprechpartnern zu telefonieren, die auch sprachlich behilflich sein können. Der Sozialarbeiter bei Hinz und Kunzt kennt eine Adresse für Ausländer, will sie suchen. Als ich, wie verabredet, anrufe, ist er nicht mehr da und hat auch keine Nachricht hinterlassen.

Sehr kooperativ verhält sich eine Mitarbeiterin von "Strassenkids": Am Besenbinderhof gebe es eine Hilfsstelle für osteuropäische Einwanderer, leider ohne Telefon, man müsse schon hingehen. Ein Wochenende liegt zwischen Krankenhausaufenthalt und neuerlicher Anwesenheit "unseres" Obdachlosen.

Aber seine Gesundheit scheint erneut sehr bedroht. Zudem ist die Temperatur eisig. Am Dienstagnachmittag schafft die Feuerwehr ihn laut Polizeiauskunft ins Agaplesion. Eine telefonische Nachfrage nach der Sozialfürsorgerin dort bleibt ohne Ergebnis: Eine der beiden Damen sei krank, die andere "unterwegs." Mit dem Arzt der Notaufnahme werde ich nicht verbunden.

Das Anlaufbüro für Osteuropäer am Besenbinderhof schliesst täglich schon um 11.30, aber ich werde am nächsten Tag noch um 12 hineingelassen, wobei ich zu spät zur Arbeit komme. Drei Mitarbeiter sehe ich, mit "halben Stellen" sagt man mir. Zwei sprechen polnisch. Es sei vermutlich Herr K., der bei uns sei. Es gebe sehr viele Zuwanderer in der Stadt, insgesamt aber keine rechte Koordination, auch gesamteuropäisch keine Planung. Hinter dem Rathaus wohne man, sichtbar für den Bürgermeister, sogar in Zelten.

Eine junge Dame der Dienststelle fährt sofort nach unserem Gespräch ins Krankenhaus, aber siehe da, das Agaplesion hat Herrn K. schon am Abend zuvor "entlassen". Das kann doch nicht wahr sein: Demnach hätte man ihn in seinem Entzugszustand bei strenger Kälte nach ein bis zwei Stunden wieder auf die Strasse gesetzt! Die Sozialfürsorgerin des Krankenhauses sei nicht bereit gewesen, sich im Hause nach dem Patienten zu erkundigen. Die Stadtteilpolizei wisse anscheinend auch nichts, man berufe sich überdies auf "Datenschutz."

Am Wochenende gehe ich mit meinem Freund zur Polizeiwache. Über den Verbleib von Herrn K. wisse man nichts. Ihm Unterkunft in einer (Ausnüchterungs-) Zelle zu gewähren, wobei wir Arzthilfe erhoffen, sei nur möglich, wenn Herr K. gewalttätig werde. Aber wir erhalten einen Prospekt über Hamburgs Winterhilfsprogramme und die Telefonnummer einer bürgerfreundlichen Polizistin.

Und - Gott sei Dank! - Herr K. ist am Dienstag wieder da, wintergerecht gekleidet und mit Decken versehen. Ich telefoniere mit dem Mitarbeiter am Besenbinderhof, und wir verabreden ein Treffen nach meiner Arbeit, um uns mit Hilfe des Übersetzers mit Herrn K. zu beraten. Sehr pünktlich sind auch schon zwei Damen von der bürgernahen Polizei anwesend. Ich stelle mich Herrn K. namentlich vor als eine der älteren Mieter des Hauses und schildere ihm in holprigem Englisch, das er zu verstehen scheint, dass z.B. ich ihn wegen der begrenzten Räumlichkeiten und meiner Lebenslage nicht aufnehmen kann/will, die Situation hier vor dem Eingang - auch wegen der ungeklärten hygienischen Verhältnisse - befremdend sei, ich andererseits möchte, dass er nicht erfriere und wieder in bessere Verhältnisse komme. Das Gespräch der Sozialarbeiter auf Polnisch ergibt folgendes: Herr K. habe seinen Personalausweis verloren; er warte in dieser Strasse auf einen Freund, Mieter zwei Häuser weiter, wo er duschen könne. Er nimmt die Adresskarte des Büros am Besenbinderhof entgegen. Dort will er sich morgen melden. Die Mitarbeiter wollen Anträge stellen, die Herrn K. wieder zur Eingliederung in die "normale Zivilisation" verhelfen. Das könne aber dauern: 14 Tage bis einen Monat. Solange müsse Herr K. erreichbar bleiben.

Am nächsten Tag ist er mit unbekannter Adresse verschwunden. Der Hauswirt hat ihn mit Hilfe einer Anzeige entfernen lassen. Am Wochenende ist er wieder da - man ist fast froh und versorgt ihn, mit etwas Essen unter Rücksichtnahme auf seine fehlenden Zähne, allerdings unregelmässig.

In der kommenden Woche habe ich mehr Zeit, mich mit Herrn K. zu verständigen, für Recherchen und koordinierteres Handeln. Soll es Herrn K. nützen, was er allerdings auch so sehen müsste, muss er erreichbar sein und darf nicht mit Hilfe von Anzeigen irgendwohin weggeschafft werden. Die prinzipiell toleranten Restaurantbesitzer sehen der Sache etwas sorgenvoll entgegen. Bei steigenden Temperaturen wollen sie Bänke vor das Haus stellen. Herr K. liegt dann unmittelbar daneben und stellt uns alle in Frage.

Autor: Gisela Brötje

HBZ · 04/2013
 
Weitere Meldungen:

Das Netzwerk des Führungsnachwuchses

Die Ratten-AG

Sie nennen sich selbst "Ratten". Es zeugt von Selbstbewusstsein und Humor, sich nach Tieren zu benennen, die viele eher als Schädlinge betrachten würden. Dabei gelten die Nager zugleich ...
HBZ · 3/2024
 

Keine Angst vor dem Finanzamt

Einkommenssteuerberatung des VHSt

Der erfahrene Steuerberater Jörg Hahn berät alle Mitglieder des Vereins Hamburgischer Staatsbeamten kompetent rund um das Thema Steuererklärung - kostenlos. Fu...
HBZ · 3/2024
 

Editorial

Gut beraten und vernetzt

Liebe Mitglieder des VHSt, liebe Kolleginnen und Kollegen, inzwischen liegt die Lohnsteuerbescheinigung des letzten Jahres wohl auch auf Ihrem Tisch und sorgt für ein schlechtes Ge...
HBZ · 3/2024
 

Das Hamburg-Rätsel

Auf welchem Gebäude thront diese Weltkugel?

Liebe Leserin und lieber Leser, mit unserem Hamburg-Rätsel können Sie testen, wie gut Sie Hamburg kennen....
HBZ · 1/2024
 

Aufgeblättert: Buchtipp

Fußball-Ikone: 'Uns Uwe'

Uwe als Buttje mit Lederball, Uwe auf Schneeboden im Stadion Rothenbaum, Uwe im Nationaldress, Uwe beim Autogrammschreiben, Uwe mit 'Vadder' Erwin, Mutter Anny und Schwester 'Purze...
HBZ · 1/2024
 

Geschichten aus Hamburgs Geschichte

Das Wappentier

Die Alsterschwäne symbolisieren seit Jahrhunderten Hamburgs Unabhängigkeit....
HBZ · 1/2024
 
 
 
 

TOP