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Streifzüge durch (fast) 150 Jahre VHSt

Justus Brinckmann - Influencer

Justus Brinckmann um 1887, Foto (c): Aloys Denoth, 28 Berufs- und Gewerbs-Typen. Hamburg 1895
Justus Brinckmann um 1887, Foto (c): Aloys Denoth, 28 Berufs- und Gewerbs-Typen. Hamburg 1895

Der kulturgeschichtliche Gehalt eines Bildnisses wie das "Fundstück" (s. Bild u.: junge Frau mit Perlenschmuck) ist verantwortlich dafür, dass sich Miniaturmalereien in Hamburg nicht allein in der Kunsthalle finden.

Als Datenträger ihrer Zeit landeten solche Kleinodien gelegentlich auch im Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G), das 1877, also vor bald 150 Jahren, am Steintorplatz seine Tore öffnete.

Schnittstelle zum Verein


Doch was hat das Museum mit der Geschichte des Vereins Hamburgischer Staatsbeamten zu tun? Schnittstelle ist der Gründungsdirektor des Museums und seit 1886 Vorsitzende des Kunstgewerbe-Vereins, Justus Brinckmann (1843-1915): Er war zeitgleich Vorsitzender auch des VHSt. Über seine siebenjährige Amtszeit - als Nachfolger von Kaidirektor Carl-Friedrich A. Hedler (1830-1902) - ist so wenig bekannt, dass er sich für diesen Tauchgang als erster vorzustellender Akteur anbietet.

Der Museumsdirektor gehörte von Anfang an zum neunköpfigen "Ehren-Rat" des Vereins. Welche Bedeutung mag die einstimmige Wahl zum Vorsitzenden am 17. Februar 1884 für den 41-Jährigen gehabt haben? Erste organisations- und sozialpolitische Errungenschaften waren bereits erzielt und ein qualitativ wie quantitativ messbarer Sprung erfolgte erst nach seinem Rücktritt. Die Zeit zwischen 1884 und 1891 wirkt eher wie eine Inkubationsphase.

Echoräume der Person


Über das konkrete Arbeitspensum für das Vereinsleben ist wenig bekannt. Die seit 1883 aktive, auch öffentlich auftretende Sing-Akademie begeisterte weiterhin um die 100 Sangesfreudige. Seit 1884 traten zu den Vereinsvergünstigungen bei Ärzten, Apotheken, Schwimmbädern und Theatern, bei Kohle, Zeitungsabo, Privatschulen (für Mädchen) und Versicherungen weitere, die eine neue Signatur trugen - der ermäßigte Eintritt für die Gewerbe- und Industrie- Ausstellung 1889 etwa oder ein Ausflug (mit zwei Schiffen) zu den neuen Bauten der Speicherstadt, denen ein ganzer Stadtteil zum Opfer gefallen war. Der Zollanschluss Hamburgs, der einen finanziellen Einbruch für die Staatsdiener mit sich brachte und den Verein in der Folgezeit intensiv beschäftigte, wurde zur Initialzündung für ein Projekt, das Brinckmann seitdem systematisch aufbaute und das heute Denkmalschutz heißt.

Als Vorsitzender leitete Brinckmann Generalversammlungen und gesellige Veranstaltungen, beteiligte sich aktiv an den "populair-wissenschaftlichen" Vorträgen und warb um neue Mitglieder - nicht nur in seinem Museum. Einen seiner letzten Auftritte absolvierte er auf der großen Vereinsfeier zu des Kaisers Geburtstag am 27. Januar 1891. Dann zog er sich von vorderster Stelle zurück und widmete sich dem umfangreichen ,Führer' durch sein Museum. Amtsnachfolger wurde Schulrat Johannes Mahraun (1838-1902), während sein Vorgänger wieder in den Ehren-Rath gewählt wurde. Dem gehörte übrigens seit 1889 mit dem neuen Direktor der Kunsthalle ein ebenbürtiger ,Kultiplikator' an.

Wer wohl den Eintritt des visionären Kunstreformators Alfred Lichtwark (1852- 1914) in den Verein veranlasst haben mag ... Unterm Strich scheint dies keine allzu große Ausbeute. Doch da jeden Menschen zu seiner Funktion ein Echoraum umgibt, dürfte sich gerade aus Brinckmanns Leben und Wirken für die Vereinsgeschichte noch einiger Honig saugen lassen. Denn, so viel steht fest: Mit ihm stand einer der schöpferischsten Repräsentanten für Hamburgs geistig-kulturelles Leben an der Spitze des Vereins.

Gestaltetes Leben


Also noch einmal zurück zur verblüffenden Kombination der genannten Vereine unter seinem Vorsitz. Warum engagierte sich ausgerechnet dieser weltberühmte und rastlos tätige ,Jäger und Sammler' universal schweifender Museumspraxis gleichzeitig ehrenamtlich für eine junge, regional agierende Organisation der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes? Vielleicht lässt sich eines der zentralen Konzepte aus dem Kunst-und-Gewerbe- Bereich auf den Tätigkeitsbereich des Beamtentums anwenden: Könnte nicht der Begriff "Gestaltung" das verbindende Leitmotiv zu dem Kultur, Wirtschaft, Bildung, Finanzen und Soziales verwaltenden Staatsdienst sein?

Verwaltetes Leben


Ein solches Verständnis von im besten Sinne inspirierter wie inspirierender Verwaltung entspräche in etwa dem, was die Hamburger Nachrichten 1891 im Reformdiskurs um Verwaltung, Justiz und Beamtenpolitik anregten: Wichtig für Anwärter mit juristischer Vorbildung sei die Einsicht, dass es in der Verwaltung "nicht nur auf die Entscheidung von Rechtsfragen" ankomme, "sondern auch auf ein selbständigeres, von höheren Gesichtspunkten ausgehendes Schaffen". Verwaltungshandeln innerhalb des "von der Gesetzgebung gewährten Spielraums" sei eigentlich "ein Stück produktive Thätigkeit und eigene Initiative erheischender praktischer Staatspolitik". 1

Der so schrieb, wusste, wovon er sprach. Als staatsrechtlich versierter Journalist, Senatssyndikus (heute: Staatsrat), Präses der Oberschulbehörde und späterer Bürgermeister übte der Jurist Werner von Melle (1853- 1937) seit den 1880er-Jahren nicht nur auf die Entwicklung von Hamburgs Verwaltung entscheidenden Einfluss aus. Als politischer ,Möglichmacher' war er der kongeniale Partner für kulturpolitische ,Gestalter' - wie Justus Brinckmann es zeitlebens war.

Standespolitik


Dass von dem in vieler Hinsicht in den 1860er-Jahren rückständigen Hamburg einmal Anregungen für die Gewerbepolitik und Gewerbeförderung ausgehen würden, die sich sogar in der Reichsgesetzgebung fürs deutsche Lehrlings- und Meisterwesen niederschlugen - das hatte vor allem mit dem "Secretair" (heute: Hauptgeschäftsführer) der "Gewerbekammer" (heute: Handwerkskammer) zu tun. Als solcher wurde der 31-jährige Jurist Brinckmann 1874 verbeamtet und für die nächsten drei Jahre zu ihrem organisatorischen wie standespolitischen Motor. Aus seiner merkwürdigen Stellung - weisungsgebunden dem Kammerpräsidenten gegenüber, als Beamter unmittelbar dem Staat verpflichtet - ergab sich eine doppelte Loyalität. Sie dürfte sein Bewusstsein für rollenbezogene Standespolitik geschärft, sein Wissen um Möglichkeitsräume im Staatsdienst erweitert haben.

Da sich die Interessen des durch Industrialisierung und Gewerbefreiheit bedrohten Handwerks seiner Ansicht nach nicht unabhängig von der ,sozialen Frage' vertreten ließen, scheute Brinckmann nicht vor der damals verpönten Sozialdemokratie zurück. Er forderte öffentlich, sie mit in die Modernisierung der Gewerbeordnung einzubeziehen. Hier sprach kein ,ideologischer Sozialradikaler', sondern einer, der, etwa als Ausschussmitglied des Berliner Vereins für Socialpolitik, eher staatskonform im Rahmen des pragmatisch Machbaren agierte.

Das wiederum machte ihn zu einem wertvollen Mitstreiter für die Bestrebungen seiner Hamburger Standesgenossen. Für eine berufsfeldübergreifende Vereinsarbeit war er der erfahrene Mann. Sein organisatorischer Erfindungsreichtum unterlief und überwand selbst (finanziell und personell) widrigste Hamburger Umstände und sein psychologisches Geschick mobilisierte für das Gemeinwohl ungeahnte Kräfte. Beispielgebend war das von ihm initiierte Ineinandergreifen von Handwerk, Kunst, Senat und Öffentlichkeit, um seine jahrzehntelang verfolgte Idee zu realisieren, Gewerbeschule und -museum institutionell und kulturell so in der Stadt zu verankern, dass sie zu Impulsgebern schöpferischer Erneuerung, denkmalschutzgerechter Bewahrung und wirtschaftlichen Erfolgs werden konnten.

Kühne Überlegenheit


Im Februar 1915 starb der Rastlose. Er habe sich bereits "auf aberhundert Jünger vererbt", feierte ein Nachruf Brinckmann im zeittypischen Telegrammstil einer Siegesmeldung: "Hat influenzierend gewirkt wie alle überlegenen Erscheinungen. Hat Schule gemacht." Den Kern der Sache, die universelle Gestaltungskraft, die sich erst im produktiven Zusammenführen von Widersprüchlichem, in einer gleichsam freien Gebundenheit entfaltet, wie sie Melle propagiert hatte, pointiert der Nachruf so: "Was er gewollt, was er mit triebhafter Energie angestrebt, beweisen seine Werke. […] Jeder Saal, jede Vitrine, jedes Einzelobjekt [des Kunstgewerbemuseums] spricht da in stumm überzeugenden Lauten von der originalen Art des Meisters. […] Von der kühnen Überlegenheit eines Beamten, der einem antibureaukratischen Selbstherrscher gleichkam. Von der zukunftssicheren Natur eines unsterblichen Verwalters, der als Konservator unserer Kulturschätze zu einem Renovator unserer Kulturempfindungen geworden ist." 2

"An die geehrten Mitglieder!"

Erster Bericht über das Vereinsleben der hamburgischen Staatsbeamten Montag, 24. November, 16 Uhr in der Rathausstraße 7. Anmeldung bitte über das Vereinsbüro


Junge Frau mit Perlenschmuck, um 1790, Foto: (c) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Public Domain
Junge Frau mit Perlenschmuck, um 1790, Foto: (c) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Public Domain

Fundstück: Junge Frau mit Perlenschmuck, um 1790 (11,4 x 9,4 cm), MK&G (1877.508)


Kostbare Perlen im Haar, um den Hals und am Ohr: ein schimmerndes Relief en miniature aus bemaltem Wachs, Holz, Metall, Papier und Glas auf dunklem Grund, eingefasst in einen ovalen goldenen Rahmen. Darauf zu sehen ist die etwa20- jährige Antoinette Henriette Süberkrup (1768-1824), eine Verwandte mütterlicherseits von der verwitweten Schenkerin Pauline Bartels (1807-1885). Es lenkt den Blick über die Person hinaus auf biedermeierlich-zeittypische Einzelheiten - von der Haartracht bis zur pastellenen Kleidung, mit tiefem Ausschnitt und angedeutetem Puffärmelchen, gehüllt in Farbtupfer aus durchscheinendem Tuch. Und es hängt irgendwie mit der Vereinsgeschichte zusammen, denn dieses zierlich gearbeitete Bildnis einer anmutigen jungen Frau im Profil gelangte 1877 in eine staatliche Sammlung, die zum Lebenswerk eines Hamburgischen Staatsbeamten wurde.

1 Werner von Melle: Die Schaffung einer juristischen Verwaltungscarriere. Hamburger Nachrichten 78 (27.3.1891).
2 Anton Lindner: Justus Brinckmann†. Neue Hamburger Zeitung 73 (9.2.1915).


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Autor: Myriam Isabell Richter
Fotos: (c) Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, (c) Aloys Denoth, 28 Berufs- und Gewerbs-Typen. Hamburg 1895

HBZ · 10/2025
 
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