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Der Kampfmittelräumdienst

Im Dienste unserer Sicherheit

Noch heute, fast 68 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, geht von den zahlreichen Kampfmitteln Gefahr aus. Nicht nur Blindgänger, auch die bei Kriegsende vergrabenen Waffen und Munition bergen ein hohes Gefahrenpotential.

Die HBZ-Redaktion wollte Genaueres wissen und hat sich beim Leiter des Kampfmittelräumdienstes, Peter Bodes, zu einem Besuch angemeldet.

Ein kleines weisses Hinweisschild mit schwarzer Schrift an der Feuerwehrwache Harburg am Grossmoorbogen 8 verweist auf die Dienststelle im hinteren Bereich der Feuerwache. Dort fallen uns sofort die in Reih und Glied abgestellten roten Einsatzfahrzeuge mit ihren grossen Schriftzügen KAMPFMITTELRÄUMDIENST auf den Kühlerhauben auf. Unübersehbar auch der Eingang zur Dienststelle - von zwei riesigen Munitionskörpern flankiert. Im dritten Stock des langgestreckten Bürogebäudes ist die Dienststelle untergebracht. An den Flurwänden diverse Plakate, Fotos und Zeichnungen über verschiedenartige Kampfmittel, Berichte über spektakuläre Bombenentschärfungen, wichtige Hinweise und Bekanntmachungen. Der Leiter Peter Bodes begrüsst uns mit kräftigem Händedruck und führt uns in den Sitzungsraum. In einer riesigen Vitrine an der linken Querwand sind unzählige Kampfmittel aller Art und Grösse zu Demonstrations- und Schulungszwecken ausgestellt. Peter Bodes zeigt auf ein Munitionsstück und fragt uns: "Können Sie sich vorstellen, dass dieses relativ kleine Kampfmittel einen ganzen Panzer knackt und ihn in Brand setzt?" Voller Respekt aber auch mit einer gewissen Beklemmung betrachten wir die Panzergranate.

Auf dem grossen Sitzungstisch sind für uns diverse Anschauungsstücke aufgebaut. Wir lernen von den Experten, wie vielgestaltig die einzelnen Kampfmittel konstruiert sind, wie die einzelnen Zünder funktionieren und vor allem welche verheerende Wirkung sie entfalten können.

"Nein, Angst gibt es in unserem Job nicht! Angst ist für uns ein Fremdwort! Wenn du Angst hast, hast du bereits verloren. Wir haben aber riesigen Respekt und grosse Hochachtung vor unserer Arbeit!" Mit dieser Aufklärung leitet dann Peter Bodes zu einem intensiven Gedankenaustausch stossempfindmit zahlreichen wissenswerten und hoch interessanten Informationen über. Ein Rundgang durch die Werkstatt- und Lagerräume mit den hochtechnologischen Gerätschaften wie der Roboter und die Hochdruck-Stahlschneideanlage beendet nach fast zwei Stunden unsere Zusammenkunft.

Aus unserem gut gefüllten Notizbuch nachstehend einige Auszüge:

Wie es damals war: Die Freie und Hansestadt Hamburg ist während des letzten Krieges als zweitgrösste Stadt Deutschlands und als wichtiger Handels- und Industriestandort Ziel von zahlreichen Luftangriffen gewesen und in einem Ausmass mit Munition verseucht worden, wie es niemand für möglich gehalten hat. Tausende von Bombenblindgängern (Spreng- und Brandbomben) liegen noch im Untergrund sowie tausende Quadratmetern staatlicher bzw. privater Flächen enthalten noch Munitionsrückstände. Diese enorme Verseuchung Hamburgs mit Munition aller Art hatte mehrere Ursachen:

Bei insgesamt 213 Luftangriffen auf die Hansestadt wurden nach alliierten Angaben ca. 107.000 Sprengbomben, über 3 Millionen Stabbrandbomben, ca. 190.000 Phosphorbrandbomben und eine unbekannte Anzahl anderer Bomben abgeworfen. Eine grosse Zahl von Bombenblindgängern blieb wegen einer Fehlfunktion als Hinterlassenschaft. Fachleute schätzen ihren Anteil auf rund 12,5 Prozent. Auch unzählige Flakblindgänger blieben zurück. Hinzu kam die Munition, die von der ehemaligen deutschen Wehrmacht und vom Volkssturm bei der kampflosen Übergabe der Stadt überall zurückgelassen, in die tausendfach vorhandenen Bombentrichter geschüttet, sonst wie vergraben oder in Elbe und Alster versenkt worden sind.

Nach Kriegsende wurden weitere umfangreiche Geländeflächen dadurch verseucht, dass die Besatzungstruppen die riesigen Munitionsbestände, die in Depots und Munitionsanstalten sowie an anderen Stellen gelagert waren, an bestimmten Plätzen zusammentrugen und unsachgemäss sprengten. Dabei ist nur der kleinere Teil dieser Munition tatsächlich vernichtet worden. Der grössere Teil wurde in den Boden gedrückt oder fortgeschleudert. Dadurch entstand eine unberechenbare Gefahrenquelle für die öffentliche Sicherheit. Um die öffentliche Sicherheit und Ordnung herzustellen, ist das Beräumen zwingend erforderlich.

Gefahren sind noch nicht gebannt!
Nicht detonierte Abwurfmunition und andere Kampfmittel bilden auch noch heute ausserordentlich grosse Gefahrenherde. Die Gefahr für die Umgebung ist bei den einzelnen Blindgängern unterschiedlich und hängt im Wesentlichen von folgenden bestimmenden Faktoren ab. Vom Baumuster und der Kalibergrösse des Blindgängers. Von der Grösse und Brisanzkraft der Sprengladung, von der Art und des Zustandes des Zündsystems, besonders von der Lage seiner Sicherungseinrichtungen sowie von seiner Erschütterungs- und Verlagerungsempfindlichkeit. Von der Lage des Blindgängers zur Oberfläche des Zieles und zu den im Gefahrenbereich liegenden Objekten. Von der Gestaltung des Gebietes bzw. seiner Bebauung in der unmittelbaren Umgebung des Blindgängers. Von der Lage und Empfindlichkeit der im Gefahrenbereich liegenden, besonders zu schützenden lebenswichtigen Objekte.

Ungeachtet der verschiedenen Ursachen von Zündversagern ist fast allen Blindgängern eine ausserordentliche Handhabungsunsicherheit und dadurch eine grosse Unfallgefährlichkeit gemeinsam. Nur einige wenige Munitionsarten und Zündsysteme machen da eine Ausnahme.

Immer noch falsche Ansichten:
Der noch weitverbreiteten falschen Ansicht, die Kampfmittel würden bei langer Liegezeit von selbst ungefährlich und können dann nicht mehr explodieren, tritt der Dienststellenleiter entschieden entgegen; das Gegenteil ist der Fall. Denn die Sprengladungen der Munitionskörper sind, von wenigen Ausnahme abgesehen, praktisch unbegrenzt lagerbeständig und ihre Sprengstoffeigenschaften bleiben erhalten. Bei manchen Sprengstoffmischungen kann eine unkontrollierte Lagerung dazu führen, dass die Phlegmatisierungsmittel, die den Sprengstoff handhabungssicher macht, mit der Zeit neutralisiert werden und die Sprengstofffüllungen somit höchst stossempfindlich werden. Auch sind die für Zündladungen verwandten Initialsprengstoffe grösstenteils nur begrenzt lagerbeständig und beginnen sich nach einem bestimmten Zeitraum chemisch zu zersetzen. In diesem Zustand werden sie meist äusserst stossempfindlich und neigen teilweise zur Selbstentzündung. Darüber hinaus ist es möglich, dass sich auch bei bestimmten Sprengstoffarten stossempfindliche Pikrate bilden, die ebenfalls zum selbständigen Auslösen der Explosion führen können. Die Handhabungsunsicherheit von Kampfmitteln und damit die Unfallgefahr erhöht sich vor allem dadurch, dass die Zündsysteme der Kampfmittel beim Aufschlag deformiert werden. Aber auch das völlige oder teilweise Aufheben der Sicherungseinrichtungen beim Fall bzw. beim Aufschlag der Kampfmittel sowie die bei langem Lagern im Freien oder im Erdboden auf die Zünder einwirkenden Einflüsse wie Rostbildung usw. können dafür die Ursachen sein.

Auch Bomben mit chemischen Langzeitzündern zählen dazu, die schon bei geringsten Erschütterungen oder auch von selbst explodieren können. Fälle, dass Bomben, Granaten oder Minen gänzlich ohne Fremdeinwirkung auch in jüngster Zeitndetonierten, beweisen das. Alle Kampfmittel sind grundsätzlich als äusserst gefährlich einzustufen. Neben Toten und Verletzten beim Räumpersonal steht eine in ihrer Höhe nicht bekannte Zahl an Toten und Verletzten aus der Bevölkerung dagegen. Kinder geraten immer wieder in Gefahr, wenn sie Munition finden. Daneben sind Forstarbeiter, Bauern und Tiefbauarbeiter gefährdet.

Die Kampfmittelverordnung zur Verhütung von Schäden durch Kampfmittel
Die Kampfmittelverordnung der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung vom 13. Dezember 2005 enthält eine Vielzahl wichtiger Bestimmungen. U.a verpflichtet sie den Entdecker von Kampfmitteln sich sofort vom Fundort zurückzuziehen, die Fundstelle zu sichern und die Polizei oder Feuerwehr umgehend zu benachrichtigen. Darüber hinaus sind bekannte Kampfmittellagerorte ebenfalls zu melden, damit diese vom Kampfmittelräumdienst untersucht und geräumt werden können. Interessant ist auch die Bestimmung, dass die auf Privatgrundstücken gefundenen und entschärften Kampfmittel nicht Eigentum des Besitzers werden, sondern dem Staat gehören. Auch hat der Eigentümer die Kosten des Sondierens einer Verdachtsfläche, des Freilegens von Kampfmitteln oder Verdachtsobjekten und die Kosten der Wiederherstellung der Flächen zu tragen. Zur Kampfmittelbeseitigung gehört das Entschärfen oder Vernichten eines Kampfmittels. Sie obliegt der Dienststelle. Hierzu gehören auch das Bergen und der Transport eines Kampfmittels zur Entschärfung zum Beispiel auf dem Truppenübungsplatz in Munster.

Das ganze Ausmass dieser unmittelbaren Gefahr wird einem unter anderem daraus ersichtlich, dass auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland noch 68 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und trotz der bisher intensiv erfolgten Räummassnahmen jährlich noch zahlreiche Blindgänger aller Bombenarten und Kaliber gefunden werden. Sie gefährden die öffentliche Sicherheit beträchtlich und führen manchmal zu folgenschweren Unglücksfällen. Jüngstes Beispiel ist die gewaltige Explosion einer 250 Kilo schweren Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg im Münchener Stadtteil Schwabing. Nach erfolglosen Entschärfungsversuchen war sie gesprengt worden. Durch die Wucht der Detonation zersprangen viele Fensterscheiben und die Dachstühle mehrerer anliegender Häuser fingen Feuer. Über 2500 Anwohner mussten wegen des Bombenfunds ihre Häuser verlassen.

Erfolgreiche Arbeit des Kampfmittelräumdienstes
In der Vergangenheit hat der Kampfmittelräumdienst etwa 10.000 Sprengbomben, 16.800 Brandbomben, 320.000 Granaten aller Kaliber, etwa 12.000 Handgranaten und Panzerfäuste, 360 Tonnen Gewehrmunition sowie 97 Tonnen an gefährlichen Gegenständen geborgen und endgültig beseitigt.

Hinter diesen nüchternen Zahlen wird eines besonders deutlich: Die Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes stehen mit ihrem Einsatz für einen ganz wesentlichen Teil unseres Zusammenlebens ein, den Dienst am Nächsten. Ihre Arbeit ist anspruchsvoll und unersetzlich; sie stellt sehr hohe Anforderungen an den einzelnen und an das Team. Konzentriert und besonnen leisten die Männer ihren Dienst für das Gemeinwesen immer mit dem Wissen, dass sie täglich ihr Leben riskieren, damit wir sicher leben können. Mit jedem Sprengsatz, den sie entdecken und entschärfen, bewahren sie Menschen vor Unheil, retten Leben und Sachwerte.

Als Kampfmittelräumdienst werden sie auch heute noch täglich gefordert. Zum Beispiel werden sie als Experten derzeit verstärkt zur Überwachung der privaten Fachfirmen eingesetzt. Diese privaten Fachfirmen führen die Sondierungen und Freilegungen von Kampfmittel durch. Zurzeit stellen ehemals militärisch genutzten Flächen, die der Bund veräussert und die von privaten Investoren zur Wohnbebauung oder Gewerbeerschliessung erworben werden, einen Schwerpunkt im Überwachungsauftrag dar. Auch bei der Hafenerweiterung oder bei der Konversion von Hafenflächen, im Naturschutzgebiet Hamburgisches Wattenmeer, auf der Insel Neuwerk und in der Elbe ist der Kampfmittelräumdienst derzeit mit Überwachungsaufgaben tätig.

Seinen letzten spektakulären Einsatz hatte der Sprengmeister Peter Bodes mit seinem Team am 9. September, als er auf dem Heiligengeistfeld zwei Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärfte, der den Kiez einen ganzen Tag in Atem gehalten hatte.

Blick in die Zukunft:
Peter Bodes: "Nach meinen vorsichtigen Schätzungen wird es noch mehrere Jahrzehnte dauern, bis alle Munition weitestgehend gefunden und unschädlich gemacht worden ist. Und dabei dürfen wir nicht ausser Acht lassen, dass die Arbeit immer gefährlicher wird, da verrottete Zündsicherungen und andere Einwirkungen die Bergung und Entschärfung der Sprengsätze sehr erschweren.

Unser Team stammt fast ausschliesslich von früheren und langjährigen Einsetzen bei den unterschiedlichen Waffengattungen in der Bundeswehr und hat dort in Ausbildung und Praxis fundierte Kenntnisse und Erfahrungen über die Kampfmittel sammeln können. Jeder in unserem Team weiss, er darf sich keine Fehler erlauben. Wir sind wie eine grosse Familie, praktisch wie eine verschworene Gemeinschaft zusammengewachsen; jeder muss sich auf den anderen verlassen können. Ich denke, wir geniessen in der ganzen Stadt einen guten Ruf, unsere Arbeit wird von den Bürgern und Behörden gleichermassen geschätzt".

Sein grösster Wunsch ist, dass sein Team jeden Abend wieder sicher zur Dienststelle zurückkehrt! Diesem Wunsch schliessen wir uns mit ganzem Herzen an!

Autor: VHSt
Fotos: Severin, dpa

HBZ · 01/2013
 
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