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Ein Harburg verbundener Gründerzeit-Maler

Christian Ludwig Bokelmann

Vor dem reich mit Figuren geschmückten Portal eines Renaissance - Baus von 1591 (römische Jahreszahlen neben dem Wappen im Giebelteil) drängen sich drei Frauengruppen auf der verschneiten Strasse.

Hier, nahe dem unteren Bildrand rechts, deutet ein abgerissener Tannenzweig leitmotivartig auf das Weihnachtsfest hin.

Ein Halbkreis von neun Frauen im Vordergrund, teils in eleganter, teils in einfacher Kleidung der Zeit um 1880 lässt nach vorn den Blick auf ein schlicht, aber offenbar warm angezogenes Mädchen frei. Dieses ist in freundlichem Blickkontakt mit einer aufwendig gekleideten älteren Frau und verhüllt unter seiner Schürze etwas wie zum Wegtragen. Unmittelbar hinter dem Kind steht eine junge Frau in einfacher Winterkleidung mit hellem Kopftuch. Von rechts beugt sich in halber Rückenansicht zu dem Kind in der Mitte eine korpulente Frau, deren gemustertes Kopftuch in seltsamem geschmack-lichen Kontrast zu ihrem modisch gerafften, bänderverzierten Kostümrock steht, was zusätzlich die im Rücken verschränkten blossen Hände betonen. Halb verdeckt von ihr stemmt eine Frau einen Apfelkorb auf der Hüfte und verstärkt mit ihren Blicken, ebenso wie zwei weitere, einfach gekleidete Frauen die Aufmerksamkeit auf das Mädchen und die junge Frau in der Mitte. Der ausgestreckte Arm mit dem Apfelkorb schliesst gewissermassen eine offenbar sozial verwandte Zweiergruppe älterer Frauen an, von der eine ihr Geld zu zählen scheint. Links von der grossen Mittelgruppe sprechen zwei weitere Frauen von wohlhabendem Äusseren mit einander: Die eine scheint mit einer grossen Weinflasche in der Hand gerade einzutreffen, die andere verlässt auf den verschneiten Stufen das Haus, in dessen Eingang und Flur im Hintergrund ein Junge mit Milchkanne und zylinderbekleidete Herren ausfindig zu machen sind.

Das Ganze sieht nach einem Wohltätigkeitsbasar in einem repräsentativen (Düsseldorfer?) Amtshause aus, wobei das opulente Portal das Thema der Bedürftigkeit - aus dem etwas rätselhaften Titel zu interpretieren - kontrastierend betont. Die gesellschaftlichen Unterschiede sind in der Kleidung eher dezent angedeutet (Hüte - Kopftücher; Winterkostüme, Umhänge im damals modischen Schottenstoff - einfache Streifenumhänge) Man ist wohlhabend oder arm, aber sauber, und alle scheinen wohlgelaunt. Verhärmte Gesichtszüge und weitere Einzelheiten erschliessen sich erst dem ruhig wandernden, detailfreudigen Blick, der zu gedanklichen Spekulationen über die anekdotische Szene führt.

Dieses heute verschollene, in Stichen überlieferte Gemälde von 1878 begründete mit anderen bemerkenswert sozialkritischen Werken von ähnlichem Detailreichtum den Ruhm des damals 34-jährigen Malers. (s. z. B. Im Trauerhause, 1873; Vorraum eines Leihhauses, 1875; Volksbank, kurz vor dem Krach, 1877; Testamentseröffnung, 1879; Letzte Augenblicke eines Wahlkampfes, 1880)

Wer war Bokelmann?

"Ist das ein Verwandter von Udo Jürgens?" fragt die Archivarin vom Bezirksamt Harburg, als ich mich nach der Lage des Grabes von Bokelmann auf dem Harburger Friedhof erkundige. Also - wohl nicht, der Taufname des Schlagerstars Udo Jürgens lautet Bockelmann - mit -ck-. Christian Ludwig Bokelmann jedenfalls, zu seiner Zeit als Kunstmaler mindestens ebenso international berühmt wie Udo Jürgens, wurde auf eigenen Wunsch, nach seiner Überführung von Berlin nach Harburg am 18. April 1894 in der Familiengrabstätte Baring auf dem Alten Friedhof an der Bremer Strasse beigesetzt.

1994 widmete das Helms Museum Harburg anlässlich der Wiedereröffnung seines restaurierten Hauptgebäudes dem Maler Bokelmann eine Ausstellung. Der Museumspädagoge Rüdiger Articus schrieb den Katalog dazu (s. u.), in dem sich auf S. 10 eine Abbildung der Grabstätte befindet. Dennoch gab es 1995 Diskussionen darüber, ob man das Grab erhalten sollte, die Kosten für das Erneuern der schmiedeeisernen Umrahmung wurden als zu hoch angesehen. Die Auskunft der Archivarin ist abzuwarten. In Internet erscheint der Ort der Grabstätte als "nicht vorhanden".

So vergeht der Ruhm der Welt; so trat die selbstbewusste Gründerzeit in den Schatten ihrer Krisen und des 1.Weltkrieges, der auch in ihrer Betriebsamkeit eine Wurzel hat, und so verblassten die Werke der hochgeschätzten und -bezahlten Gründerzeitmaler der penibel realistischen Richtung vor der neu aufkommenden Freilicht-Malerei und ihren Themen.

Bokelmann, geb.1844, bewegte sich in beiden Richtungen und ist daher ein beachtenswerter Zeitzeuge. Haben seine anfänglichen Genrebilder aus der Arbeitswelt , z.B. von Jugendlichen, einen humoristischen Akzent (s. Heimlicher Streik, 1873, eine Szene, in der ein Schusterjunge in Abwesenheit des Meisters in der detailliert geschilderten Werkstatt vergnügt - aufsässig eine Rauch-Pause einlegt ) so weisen sie doch auf Kenntnis frühzeitigen Leistungsdrucks hin. Bokelmann konnte wohl auf eigene Erfahrungen als jugendlicher Lehrling zurückgreifen.

Er wurde am 4. Februar 1844 in St. Jürgen bei Bremen geboren. Sein Vater, Lehrer, Organist und Küster, seine Mutter, Pastorentochter aus Worpswede, bemerkten schnell die mangelnde Neigung des Jungen für die Wissenschaften, aber auch mit Misstrauen seinen Eifer, alles zu zeichnen, was er sah. Seinem Wunsch, Maler zu werden, begegnete der Vater mit einer 5-jährigen Lehrstelle in einem Detailgeschäft in Lüneburg. Daran schlossen sich zwei Jahre Kontorarbeit in der Zigarren- und Tabakfabrik seines Onkels Delius in Harburg, und ab 1865 eine Commis - Tätigkeit in der Harburger Gummi-Kamm-Compagnie des Industriellen Heinr. Christian Meyer jr. Mangels vernünftiger Beschäftigung dort gab er seiner Zeichenlust nach. Dort fungierte als "Befreier" der Buchhalter: Eine in einem Kontobuch gefundene Skizze veranlasste ihn, Bokelmann dringend ein Kunststudium zu empfehlen. Zusätzlich ermuntert durch Freunde wie den Harburger Zeichenlehrer Früauff leistete er sich ab August 1868 mit Hilfe von Ersparnissen das Kunststudium in Düsseldorf.

Nach 10 Jahren hatte Bokelmann auf internationalen Weltausstellungen bereits Ruhm als "eigenartiger Sittenschilderer und geistvoller Beobachter der menschlichen Natur" erworben (Articus, S. 9 ) Einer Kunstprofessur in Karlsruhe folgte ein Ruf nach Berlin. Sein späterer malerisch grosszügigerer Stil und seine Themen (sog. Volkslebenbilder) gehen der Worpsweder Malerei voraus. Er war das Vorbild Fritz Mackensens. Bekannt sind auch noch seine Portraits von Klaus Groth. Seinen Harburger Freunden blieb er treu; seine Frau war eine Harburgerin. Bokelmann starb 1894 an einem Unfall, als er einen von seinen Schülern gestifteten Lorbeerkranz aufhängen wollte.

Literatur: Rüdiger Articus, Christian Ludwig Bokelmann (1844 -1894).Ausstellungs-Katalog Helms-Museum 1994. G.B.

Autor: VHSt
Fotos: Severin

HBZ · 12/2014
 
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