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Vereinigung zur Förderung der angewandten Forschung

Die Fraunhofer-Gesellschaft


In unserem letzten Teil über die wichtigsten deutschen Forschungseinrichtungen, -institute und -gemeinschaften stellen wir Ihnen die Fraunhofer-Gesellschaft vor.

Bild oben: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der Waferbearbeitung (runde Halbleiter) im Bereich Lithographie im MEMS-Reinraum (Miniaturisierte Mikrosysteme) des ISIT in Itzehoe, Foto: © 2020 Eric Shambroom Photography / Fraunhofer ISIT

Mit mehr als 75 Einrichtungen und Instituten ist sie die weltweit führende Organisation für Entwicklung und anwendungsorientierte Forschung und die größte Forschungsorganisation Europas. Ganz im Geiste ihres Namensgebers und Vorbildes, des Wissenschaftlers, Unternehmers und Erfinders Joseph von Fraunhofer, liegen die Bestrebungen in der ausgewogenen Verbindung wissenschaftlicher Grundlagenforschung und Ergebnisanalyse zur Entwicklung neuer Technologien und Fertigung innovativer Produkte.

Gründungsphase und Existenzkampf

Auf den Eckpfeilern der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gründete sich im Jahr 1949 in München auch die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung. Der Verein sollte die wissenschaftliche Forschung im zerstörten Deutschland neu organisieren und unterstützen. So ging es in den Anfangsjahren besonders darum, finanzielle Mittel zu generieren, die eine wirtschaftsbegleitende Forschung ermöglichen konnten. Erster Präsident der neuen Gesellschaft wurde der Kernphysiker Prof. Dr. Walther Gerlach, der zu diesem Zeitpunkt auch Direktor der Universität München war. Das erste Wirkungsfeld des Vereins begrenzte sich auf das Land Bayern und dessen Wirtschaftskraft. Im Vordergrund standen dabei ambitionierte Forschungsarbeiten im Maschinen- und Bergbau sowie in der Hüttentechnik.

Mit dem Beginn des Aufbaus und den ersten Ausläufern des beginnenden Wirtschaftswunders zeigte sich Anfang der 1950er-Jahre auch die Akzeptanz der Fraunhofer-Gesellschaft seitens der Politik. Finanzielle Forschungsmittel wie etwa Zuwendungen aus den Hilfsgeldern des Marshallplans kamen der Fraunhofer-Gesellschaft zugute, die einen immer höheren Stellenwert auf Bundesebene erlangte. In den Reihen des Bundeswirtschaftsministeriums galt die Fraunhofer-Gesellschaft neben der Max-Planck-Gesellschaft und der Deutschen Forschungsgemeinschaft längst als dritte Kraft des Entwicklungsmotors der jungen Republik. Doch die Konkurrenzsituation sorgte auch für Krisen, als in Deutschland auch noch eine Zweigstelle des amerikanischen Batelle-Institutes für gemeinnützige Vertragsforschung gegründet wurde. Im Nachhinein erwies sich dies jedoch als treibender Stimulationsfaktor für eine erfolgreiche Expansion der Fraunhofer-Gesellschaft.

Erste Forschungseinrichtungen

Dem fortlaufenden Überlebenskampf und der ungewissen Zukunft zum Trotz gründete der Verein am 1. Juni 1954 die erste Forschungseinrichtung. In Mannheim entstand das Institut für angewandte Mikroskopie, Photographie und Kinematographie. Viele Mitarbeiter der Gesellschaft engagierten sich ehrenamtlich und die sich in einer allgemeinen Aufbruchstimmung befindliche Wirtschaft ließ auch die Privatinvestitionen für Entwicklungs- und Forschungsleistungen wachsen. Im Folgejahr 1955 nahm die neu gegründete Patentstelle für Deutsche Forschung der Fraunhofer- Gesellschaft in München ihre Arbeit auf und kurz darauf folgten weitere neue Einrichtungen. Das neu ins Leben gerufene Bundesverteidigungsministerium bot dem Fraunhofer-Institut ein weiteres Betätigungsfeld und ein ansprechendes Finanzierungsbudget. In Freiburg entstanden das Institut für angewandte Festkörperphysik sowie das Ernst- Mach-Institut für Kurzzeitdynamik. In Schmallenberg gründete sich das Institut für Aerobiologie und in Pfinztal das Institut für Chemie mit dem Fachbereich Treib- und Explosivstoffe. Vorrang hatten grundsätzlich die Aufträge des Bundesverteidigungsministeriums.

Zum zehnjährigen Gründungsjubiläum stand die Gesellschaft auf festen Füßen, nannte neun Institute ihr eigen und erwirtschaftete mit rund 135 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Kapitalvolumen von über 3,6 Millionen D-Mark. Die 1960er-Jahre beflügelten den Aufbau neuer Forschungsstätten und 1963 wurde auch die Fertigungsstelle des Namensgebers Joseph Fraunhofer, die Glashütte Benediktbeuern, als erklärende Ausstellungsstätte eingeweiht. Ein Jahr später war die Zahl der Beschäftigten bereits auf 700 gestiegen und das Umsatzvolumen hatte sich auf 16 Millionen D-Mark erhöht. 1965 drängte der einflussreiche Wissenschaftsrat die politisch Verantwortlichen zur umfassenden Integration der Fraunhofer-Gesellschaft in die deutsche Forschungsstruktur. Dazu wurden strukturelle Reformen und eine breite Konzepterstellung nötig. 1968 setzte der zuständige Bundesminister für Forschung, Gerhard Stoltenberg, eine entsprechende Kommission zur Ausbauförderung des Forschungsvereins ein, die beschloss, eine staatliche Grundförderung zu gewährleisten.


Bild oben: Das am Fraunhofer IME entwickelte vertikale Indoor-Pflanzenzuchtsystem OrbiPlant® ermöglicht einen nachhaltigen und ressourcenschonenden Anbau von Medizin- und Nahrungspflanzen, Foto: © Fraunhofer IME / Christian Ahrens

Stetige Innovationen und das Fraunhofer-Modell

Die Kommissionsempfehlungen beinhalteten auch eine leistungsorientierte Förderung und begründeten eine gemeinsame neue Kommission des Bundesforschungsministeriums und Mitgliedern der Fraunhofer-Gesellschaft, die dem Ausbau der gesamten gesellschaftlichen Strukturen in der Bundesrepublik zugute kommen sollte. Nach weiteren Institutseröffnungen und den Änderungen von Satzung und Organisationsstrukturen griff Anfang der 1970er-Jahre das sogenannte Fraunhofer-Modell. Hierbei wendet die Gesellschaft 70 Prozent des notwendigen Investitionskapitals aus eigenen Mitteln auf, 30 Prozent kommen von Bund und Ländern. Das erfolgsabhängige Prinzip richtet sich in der Grundfinanzierung nach der Höhe der erwirtschafteten Erträge und gilt für die gesamte Gesellschaft sowie die einzelnen Institute und Einrichtungen unter ihrem Dach. Flexibilität, autonome Handlungsweisen und Anpassungsmöglichkeiten an die Geschehnisse auf den Märkten halfen der wissenschaftlichen Kompetenz der Fraunhofer-Gesellschaft so dabei, zu einem führenden Anbieter in der angewandten Forschung zu werden.

Fortan konnten viele zivile Forschungszwecke in die Fraunhofer-Gesellschaft eingegliedert werden. Wichtige Beispiele hierfür sind das Institut für Lebensmitteltechnologie und Verpackung. Seitdem bestimmten zukunftsträchtige Innovationen die Erfolgsgeschichte der Gesellschaft und der Anteil an der Verteidigungsforschung nahm stetig ab. Eine schier unglaubliche Anzahl von neuen Produkten oder Verfahrenstechniken resultierte aus den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten der Fraunhofer-Institute oder ihren anderen Einrichtungen. Die Themenbereiche sind dabei äußerst vielschichtig und betreffen die Medizin, die Energietechnik, die Mikroelektronik, das Segment der Werkstoffe, die Life-Sciences oder die Kommunikations- und Informationstechnik. Während des Vorstoßes in das neue Jahrtausend avancierte eine Entwicklung des Fraunhofer-Institutes für Integrierte Schaltungen zum Welterfolg und beeinflusste die globale Audiolandschaft nachhaltig: Das Verfahren zur Codierung und Komprimierung von Audiodaten in das seitdem überall bekannte MP3-Format glich einem digitalen Urknall und bescherte den Erfindern den Zukunftspreis des Bundespräsidenten, der mit 500.000 D-Mark dotiert war.

Täglich neue Erfindungen

Der Start ins 21. Jahrhundert zeigte eindrucksvoll, dass die Fraunhofer-Gesellschaft für die Anforderungen der Zukunft gerüstet ist. Etliche internationale Verbindungen und Kooperationen, Stiftungen oder wissenschaftliche Datenaustauschforen ebneten einen erfolgreichen Weg. Im Jahr 2011 beispielsweise vermerkte die Gesellschaft über 670 neue Erfindungen, von denen 494 zum Patent angemeldet wurden. Dies entspricht drei Erfindungen pro Werktag. In jenem Jahr stieg die Anzahl der angemeldeten Schutzrechte auf über 6.100. Eine beeindruckende Bilanz.

ISIT, IVI, IME und viele mehr

Heute gehören allein in der Bundesrepublik mehr als 75 Institute und Forschungseinrichtungen zur Gesellschaft. Etwa 29.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erwirtschaften ein jährliches Finanzvolumen von rund 2,8 Milliarden Euro. Drei eindrucksvolle Beispiele für zur Fraunhofer-Gesellschaft gehörende Institute und Forschungseinrichtungen sind das Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie ISIT, das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME und das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI. Das ISIT ist Spezialist für die Entwicklung, Fertigung und Integration mikromechanischer und mikroelektronischer Bauelemente und sorgt u. a. für immer kompaktere und leistungsstärkere Batteriesysteme, die für die Elektromobilität gebraucht werden. Im IME werden angewandte Lebenswissenschaften vom Molekül bis zum Ökosystem betrieben. Hierzu gehören u. a. die Erforschung tierischer Gifte für Bioinsektizide oder klinisch-medizinische Einsatzzwecke, die Generierung und Produktion von monoklonalen Antikörpern sowie die Erschließung von Bioressourcen für die Lebensmittelindustrie oder Prüfung von Lebensmittelsicherheit. Im IVI reichen die Forschungsfelder von energieautarkem Wohnen über Weiterentwicklungen in der Elektromobilität wie Unterbodenschnellladesysteme für E-Autos bis hin zu intelligenten Verkehrs- und Mobilitätssystemen und Technologien für die zivile Sicherheit.

Fraunhofer-Einrichtungen in Hamburg

Die Hansestadt und ihre Forschungsinfrastruktur bieten einen idealen Standort für verschiedenste Fraunhofer-Einrichtungen von der Logistik und Produktionstechnologie über Energie bis hin zur Gesundheitsforschung. So wurde bereits 2010 das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML zur Entwicklung innovativer Lösungen für den maritimen Sektor und die maritime Lieferkette in Hamburg gegründet. Erweitert werden diese Aktivitäten derzeit um den Innovationsimpuls "Smart Ocean" zur nachhaltigen Nutzung der Meere. Am 1. Januar 2018 startete dann mit dem Fraunhofer-Institut für Additive Produktionstechnologien IAPT die erste eigenständige Fraunhofer-Einrichtung in der Hansestadt, mit dem Ziel, revolutionäre Produktionstechnologien weiterzuentwickeln. Zur gleichen Zeit wurde auch das Fraunhofer-Zentrum für Angewandte Nanotechnologie CAN am Standort Hamburg gegründet. Forschungsschwerpunkt bildet hier die Entwicklung anorganischer Nanopartikelsysteme. Ebenfalls in Hamburg verortet ist der ScreeningPort des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie ITMP, der in der pharmazeutischen Wirkstoffsuche tätig ist. Im Bereich der erneuerbaren Energien sind das "Large Bearing Laboratory" sowie das Anwendungszentrum ILES etabliert.

Internationalität und Zukunftsfähigkeit

Seit 2020 ist die Fraunhofer-Gesellschaft auch in einer international agierenden wissenschaftlichen Blockchain mit Namen Bloxberg involviert. Entsprechende Internetplattformen stellen den schnellen Datenaustausch wissenschaftlich relevanter Dokumente sicher und helfen so auch bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. In diesem Zusammenhang forcierte die Fraunhofer-Gesellschaft auch direkte Anti-Corona-Projekte aus dem Medizin- und Gesundheitssektor, wie die Impfstoffentwicklung, die notwendige innovative Diagnostik und Medikamentenentwicklung, die Bereitstellung von IT-Kapazitäten sowie gezielte Vorlaufforschung. Darüber hinaus unterstützt sie technologisch bei der Produktion von Komponenten für Schutzausrüstungen.

Quellen: Fraunhofer-Gesellschaft (fraunhofer.de), fraunhofer-academy, Pressestelle Deutsche Forschung, Pressestelle Fraunhofer-Gesellschaft, Chronik Fraunhofer-Gesellschaft

Fotos: ISIT MEMS-Reinraum © 2020 Eric Shambroom Photography / Fraunhofer ISIT; OrbiPlant® © Fraunhofer IME / Christian Ahrens

Autor: VHSt

HBZ · 11/2021
 
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