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Im Interview: Dorothee de Place

Inklusives Theater

Das Klabauter Ensemble bei einer Aufführung des Stücks 'NICHTS', Foto: (c) Fabian Hammerl
Das Klabauter Ensemble bei einer Aufführung des Stücks 'NICHTS', Foto: (c) Fabian Hammerl

Hamburgs Kulturszene ist bunt und vielfältig. Dorothee de Place ist freie Regisseurin, Schauspielerin und Theaterpädagogin. Sie arbeitet mit Laien- und professionellen Schauspielern jeden Alters mit und ohne körperliche und geistige Behinderungen.

Ihre Arbeit folgt einem inklusiven, interkulturellen und interdisziplinären Ansatz.

Aufeinander einlassen

"Sprachkompetenzen, Bewegungsmuster und -radien sind in heterogenen Theatergruppen mit Menschen mit und ohne Behinderungen sehr verschieden", erklärt de Place die Unterschiede zu der Arbeit mit einer homogenen Gruppe. Wichtig sei es, am Anfang gegenseitige Vorbehalte und Hemmungen abzubauen. "Darsteller:innen mit Behinderungen haben oft starke Selbstzweifel und Darsteller:innen ohne haben Ängste, sich falsch zu verhalten", sagt de Place.

Ihre künstlerische Arbeit zeichnet eine sinnliche Bildsprache aus, in der Raum, Bewegung, Geräusch, Material und Rhythmik ebenso wirkmächtig sind wie Sprache. Text ist selten der Ausgangspunkt, sondern entsteht gemeinsam mit praktischem Ausprobieren und szenischem Improvisieren. "Ich arbeite allerdings gerne mit einer Vorlage wie einem Roman, einer Ballade oder auch einem Märchen als Referenzpunkt, zu dem sich die Gruppe dann positioniert."

Das Gegenteil von "sich gewöhnen"

Was das Publikum bei einer inklusiven Theatervorführung sieht, ist ein Kernthema der Arbeit von Dorothee de Place. "Über Generationen eingeübte Sicht- und Wahrnehmungsweisen von Menschen als 'normal' und 'anders' beeinflussen, wie Darsteller:innen mit Behinderungen auf der Bühne wahrgenommen werden. Als Regisseurin muss ich das bedenken", sagt de Place. "Wer hat entschieden, was die Norm ist? Und warum? Und könnten wir uns nicht für den Menschen auf 'Einzigartigkeit' als Norm einigen?" Sie sieht es als eine Aufgabe für Künstler, Machtstrukturen zu hinterfragen sowie alternative Denkmuster und Gesellschaftsformen zu entwickeln.

Darstellungsweisen von Behinderung

Die Forschung nennt vier Perspektiven, aus denen das Publikum auf Schauspieler mit Behinderungen reagiert, die sich in der Praxis oft vermischen und überlagern: positives Staunen, indem das Publikum die gezeigten Fähigkeiten "trotz Behinderung" bewundert; emotionale Reaktionen wie Mitleid oder Rührung wegen der "Hilflosigkeit" und dem "Leiden" der Darstellenden sowie Neugierde, die durch die "Andersartigkeit" hervorgerufen wird. Der realistische Blick hebt das "Menschliche und Normale" des Schauspielers mit Behinderungen hervor. "Die ersten drei Reaktionen schauen aus einer Machtposition auf den Menschen mit Behinderung. Die vierte versucht, eine Beziehung auf Augenhöhe herzustellen", sagt de Place.

Um Menschen mit Behinderungen eine Stimme zu verleihen und sie ihre eigenen Themen verhandeln zu lassen, geschieht es oft, dass nicht behinderte Regisseure oder Theaterpädagogen Behinderung zum Thema eines inklusiven Theaterstücks machen. Dann geht es sofort um Behinderung, weil sie auf der Bühne sichtbar wird. Dies bestärkt jedoch das Denken in den Kategorien "normal" und "anders". Dorothee de Place geht in ihrer Arbeit den gegenteiligen Weg: "Mir ist es wichtig, die Darsteller:innen nicht auf ihre Behinderung zu reduzieren."

Dorothee de Place und Darstellerin Emily Willkomm bei Proben, Foto: Dmitrij Leltschuk
Dorothee de Place und Darstellerin Emily Willkomm bei Proben, Foto: Dmitrij Leltschuk

"Echte Inklusion
auf der Bühne bedeutet
Normalität."

Spiegel auf der Bühne

Statt die Behinderung in den Fokus zu nehmen - eine Lebenserfahrung, die viele im Publikum nicht teilen - möchten de Place und ihr Ensemble von all dem erzählen, was sie teilen: "Genau wie ich ist eine Darstellerin mit Behinderung zunächst Frau, Tochter, Partnerin, fühlt sich verantwortlich, oft fremdbestimmt, wünscht sich Anerkennung … Es gibt unzählige Themen. Wir sind Menschen. Auch ich scheitere, bin abhängig und begrenzt. Wer nicht? In unserer Gesellschaft ist es negativ konnotiert, Hilfe zu benötigen. Hilfe zu schenken dagegen ist positiv. Es baut den Selbstwert auf."

"Die Vorstellung, alles können zu müssen, setzt viele unter Druck. Burn-out, Depressionen, Rückenprobleme sind die Zeichen", so de Place. "Ein Weg, der allen nutzen würde, wäre es, diesen Anspruch und den Begriff der Eigenständigkeit zu verändern. Niemand - ob mit oder ohne Behinderung - kann alles alleine und es sollte selbstverständlich sein, dass man andere um Unterstützung bittet und seine eigenen Grenzen nicht als Schwäche definiert."

Pandemiebedingt finden derzeit keine Theatervorführungen statt. Auf der Website www.dorotheedeplace.de erfahren Sie, wann es wieder losgeht.

Fotos: Klabauter Ensemble 2016, Fotograf: Fabian Hammerl; Dorothee de Place und Darstellerin Emily Willkomm, Fotograf: Dmitrij Leltschuk

Autor: Samira Aikas

HBZ · 02/2022
 
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