
Kunst im öffentlichen Raum: Teil 1
Zwischen Bauschmuck und Skandal
Goldenes Haus von Boran Burchhardt (2017) in der Veddeler Brückenstraße, Foto: (c) stahlpress Medienbüro
"Muss nicht sein", sagt ein Passant, als er auf die vergoldete Fassade angesprochen wird. "Das ist eine kleine Attraktion", findet der Mann im Straßencafé. Dass Gruppen von Touristen die von Google als Sehenswürdigkeit angepriesene "Veddeler Goldwand" ansteuern, hat auch der Sozialarbeiter beobachtet, dessen Büro sich im selben Block befindet.
Er hätte das Geld, das sie gekostet hat, lieber an anderer Stelle im Viertel verwendet. Kunst im öffentlichen Raum ruft oft Zustimmung ebenso hervor wie Widerspruch. Zugleich - oder vielleicht deshalb? - ist sie auch öffentlicher Auftrag. Zwar gibt es keine offizielle Aufstellung über Kunstwerke im öffentlichen Raum Hamburgs, doch aus aus verschiedenen Listen ergibt sich eine Zahl von aktuell rund 1.600 Werken.
"Veddel vergolden" - umstritten …
Die mit Blattgold beklebte Backsteinwand des Hauses Veddeler Brückenstraße 152 ist das seit vielen Jahren spektakulärste Kunstwerk im öffentlichen Raum unserer Stadt. Ihr Urheber, der 1973 in Hamburg geborene Boran Burchhardt, kam als "Quartierskünstler" auf die Veddel. So nennt die Wohnungsbaugesellschaft SAGA das Stipendium, das sie alle zwei Jahre ausschreibt.
Burchhardt entwarf das Projekt "Veddel vergolden". Sechs Millionen Euro, schätzte er, würde es kosten, die von Fritz Schumacher in den 1920er-Jahren errichtete Siedlung, die 1943 durch Bomben zerstört und ab 1950 wieder aufgebaut worden war, in edlem Glanz erstrahlen zu lassen.
Die zuständige Kommission der Kulturbehörde bewilligte immerhin 85.000 Euro für den Prototyp. Schon bevor Burchhardt im Juni 2017 mit der Arbeit begann, schlugen die Wellen der Empörung hoch. "Ärger um den goldenen Wohnblock", titelte die Süddeutsche Zeitung, "Veddel will nicht vergoldet werden", behauptete die Frankfurter Rundschau. Sogar zwei Mal widmete sich die NDR-Satiresendung extra 3 in der Rubrik "Realer Irrsinn" der Goldwand. "Verschwendung", schimpften auch Lokalpolitiker von SPD und Grünen, der Bund der Steuerzahler beklagte "Dekadenz", und der Chef des zuständigen Bezirksamtes nannte das Unternehmen "grotesk".
Das Schicksal von Hugo Lederer (1905). Brunnen von Engelbert Peiffer (1878), Fotos: (c) stahlpress Medienbüro
Schon nach den ersten der 33 Tage, die die Vergoldungsaktion dauerte, wurden vier blaue Farbbeutel auf das Haus geworfen und die Windschutzscheibe des Hubsteigers beschädigt, mit dem der Künstler an der sechsstöckigen Fassade arbeitete. Ein Bewohner hängte ein Transparent aus dem Fenster: "Schmier dein Gold woanders hin!" Zur Einweihung am 18. Juli 2017 gab es Proteste, bei denen Kinder Plakate malten mit Slogans wie "Wir sind das Gold der Veddel". Die Graffiti, mit denen das "Goldene Haus" im Erdgeschoss als einziges in der Straße versehen ist, zeigen an, dass die Erregung noch nicht ganz abgeklungen ist.
… aber wichtig?
"Es geht darum, mit Kunst einen Punkt zu treffen, der wund ist und Denken in Gang setzt", erläuterte der Künstler. Das sei gelungen, fand Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda. Die Goldwand stelle "mit künstlerischen Mitteln unsere gewohnten Denkweisen infrage", sagte er im November 2017. "Solche Kunstprojekte bringen uns dazu, im Kopf beweglich zu bleiben und den Blick auf Menschen und Orte zu richten, die sich sonst unserer Wahrnehmung vielleicht entziehen." Boran Burchhardt berichtete nach Abschluss der Vergoldung, dass das Projekt - trotz aller Diskussion auch im Viertel - einen ungewöhnlichen Effekt habe: "Die Leute gehen aufrechter, sie schauen nach oben."
Kunst im öffentlichen Raum als staatliche Aufgabe
Die Goldfassade bringt auf den Punkt, worum es bei Kunst im öffentlichen Raum gehen könnte und womit sie zu kämpfen hat: Ist das Werk nicht bloß dekorativ, ist es nicht nur Handwerk, sondern autonome Kunst, kann es die Gemüter erregen und im besten Fall eine kritische Reflexion anstoßen. Oder gar den aufrechten Gang bei denen befördern, die sonst eher geduckt unterwegs sind?
Jedenfalls ist die "Kunst im öffentlichen Raum" offizieller öffentlicher Auftrag: Am 1. Juli 1981 trat die so benannte und zuvor vom Senat beschlossene Verwaltungsanordnung in Kraft. Sie löste die "Kunst am Bau" ab, die auf Fritz Schumacher zurückgeht, der als Oberbaudirektor 1920 verfügte, dass bei staatlichen Gebäuden Künstler mitzuwirken hätten. Avantgardisten wie Anita Rée oder Eduard Bargheer schufen vorwiegend Wandbilder in Schulen.
Schwäne von Karl August Ohrt (1956) bei den Grindelhochhäusern, Foto: (c) KUNST@SH/Jan Petersen
Medien erfuhren Kunstwerke noch keine massenhafte Verbreitung. Der öffentliche Raum war für einen Großteil der Bevölkerung die einzige Möglichkeit, mit Kunst in Berührung zu kommen. Ein preußischer Erlass griff den Gedanken 1928 auf, und 1934 erließ NS-Propagandaminister Joseph Goebbels eine Verordnung, wonach ein bestimmter Prozentsatz der Bausumme für die künstlerische Gestaltung ausgegeben werden musste.
Denkmäler seit 1774
Das Phänomen Kunst im öffentlichen Raum ist aber natürlich bereits deutlich älter. Die längste Zeit waren Gemälde und Skulpturen in Kirchen die einzige Kunst, die nicht nur in den Privathäusern der jeweiligen Auftraggeber zugänglich war. Die ersten Werke, die einem an Straßen und auf Plätzen begegneten, waren Denkmäler. Das erste bekannte Denkmal in Hamburg wurde 1774 am Deichtor zur Erinnerung an eine Flut im Juli 1771 aufgestellt. Der Obelisk mit einer Urne auf der Spitze wurde mehrfach umgesetzt, 1943 durch Bomben beschädigt und in den 1950er-Jahren vom Denkmalschutzamt abgeräumt.
Wie auch heute vielfach üblich wurde bereits bei der Ehrung für den Astronomen und Oberspritzenmeister Johann Georg Repsold vorgegangen, der 1830 bei einem Brand ums Leben kam: Es wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt Alexis de Chateauneuf, der als Architekt den Wiederaufbau nach dem Großen Brand 1842 leitete und unter anderem die Alsterarkaden schuf. Das von ihm entworfene Denkmal krönte eine Porträtbüste Repsolds von Sigismund Runge, dem Sohn des Malers Philipp Otto Runge. Es steht seit 1833 etwas versteckt unweit der Stelle, wo sich einst die Sternwarte des Geehrten befand, in den Anlagen des Museums für Hamburgische Geschichte.
Unübersehbar thront Gotthold Ephraim Lessing auf dem Gänsemarkt. Das 1881 feierlich enthüllte Denkmal war zum 100. Todesjahr beim Berliner Bildhauer Fritz Schaper in Auftrag gegeben worden und zeigt den Dichter in einer Haltung, die ansonsten gekrönten Häuptern vorbehalten war und von vielen Zeitgenossen als skandalös empfunden wurde. Für echte Herrscher hingegen waren Reiterstandbilder üblich - so wie Gustav Eberlein 1898 Kaiser Wilhelm I. vor dem heutigen Altonaer Rathaus darstellte.
Brunnen, Brücken und Gebäude
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schmückten Künstler bevorzugt Brücken und Brunnen. Letztere verloren mit dem Bau der Kanalisation an Bedeutung; wo ehedem Wasser geschöpft worden war, wurde nun mit ihm gespielt. Heute gilt Wasserkunst als zu teuer, und noch vorhandene Springbrunnen sind oft trocken. Zwei dieser Brunnen schuf 1878 Engelbert Peiffer: Der eine wurde 1975 vom Meßberg zum Hopfenmarkt versetzt, der andere bildet bis heute das Zentrum des Hansaplatzes. Peiffer beschränkte sich allerdings nicht auf Brunnen: Zwei Figuren von ihm zieren seit 1882 die Trostbrücke über das Nikolaifleet - Graf Adolf III. von Schauenburg und St. Ansgar.
Auch öffentliche Gebäude wurden Gegenstand künstlerischer Tätigkeit: Einen so "reiche[ n] Figurenschmuck in Bronze und Kupfer" habe "in gleicher Ausdehnung wohl kaum ein anderes Gebäude der Welt aufzuweisen", befand der leitende Architekt Martin Haller über das 1897 eingeweihte Rathaus. Im von vier Löwen bewachten Innenhof erhebt sich die griechische Göttin der Gesundheit Hygieia als junges Mädchen auf einem Brunnen des Müncheners Joseph von Kramer. Die Löwen sind von Carl Börner.
Börner war ursprünglich nach Hamburg gekommen, um das Denkmal für Friedrich Schiller fertigzustellen, nachdem dessen Schöpfer Julius Lippelt an Tuberkulose gestorben war. Der Dichter mit den vier Musen stand seit 1866 am Ferdinandstor vor der Kunsthalle und wurde 1958 in den Gustav-Mahler-Park am Dammtordamm versetzt. Von Börner sind auch die Statue des Bürgermeisters Kersten Miles an der nach diesem benannten Brücke sowie die beiden Elefanten im öffentlich zugänglichen Innenhof des 1900/1901 erbauten Afrikahauses der Reederei Woermann an der Großen Reichenstraße.
1912/1913 wurde auf dem Justizforum mit den Gebäuden für Straf- und Ziviljustiz sowie dem Hanseatischen Oberlandesgericht ein Brunnen von Arthur Bock installiert. Im Zuge der Internationalen Gartenbauausstellung 1963 im angrenzenden Planten un Blomen wurde er wieder abgebaut, die Skulpturen über den Platz verteilt. Sie zeigen die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck als sich umarmende Frauen sowie Technik, Handel und Industrie als Männer.
Spielwiese für Bildhauer
Zur Spielwiese für Bildhauer wurde ab 1910 der Stadtpark. Hier wurden vor allem Tiere dargestellt: Eisbären, Hunde, Pinguine und Affen. Überhaupt haben mehr als 300 Kunstwerke im öffentlichen Raum Tiere zum Motiv. Allein Hans Martin Ruwoldt schuf drei Panther im Stadtpark, auf dem Unicampus und in Planten un Blomen, außerdem Pinguine in Eilbek, Möwen in Harvestehude, Kraniche in Barmbek und in der U-Bahn-Station Hagenbecks Tierpark, Flamingos, mehrere Geparden und einen "Stürzenden Stier" vor dem inzwischen aufgelassenen Schlachthof.
Von Ruwoldt ist auch eine der fünf Skulpturen, mit denen 1956 die Freiflächen zwischen den Blocks der ersten deutschen Hochhaussiedlung, den Grindelhochhäusern, versehen wurde. Ab 1959 wurde die Idee der "Kunst am Bau" wieder aufgegriffen und ab 1966 amtlich. Bereits 1953 hatte der neue Direktor der Kunsthalle mit der Ausstellung "Plastik im Freien" die Kunst aus dem Museum herausgeholt.
Teil 2 erscheint in der nächsten Ausgabe.
Bildergalerie
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Autor: Volker Stahl
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