VHSt - Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
Hamburgischer Verein für den öffentlichen Dienst
 
Aktuelle Ausgabe
Titelfoto: © Titelbild: Innenraum Stilbruch (c) Stadtreinigung Hamburg

Das Mitgliedermagazin

Hamburgische Zeitschrift für den öffentlichen Dienst

 

Mitglied werden

Profitieren Sie von der Mitgliedschaft im VHSt. Einfach ausdrucken und ausgefüllt an uns senden.

 

BESONDERE VERANSTALTUNGEN


 

Top-Themen

Der Michel

Gedenktafeln, Gypsy-Jazz und Türmer

Die Hauptkirche Sankt Michaelis, wie der Michel eigentlich heißt, ist das Wahrzeichen Hamburgs, Raum für Konzerte und Feste, Touristenmagnet sowie die größte und prachtvollste Barockkirche Norddeutschlands. Ja, der Michel ist anders als die anderen Hauptkirchen Hamburgs und so ziemlich jeder Hamburger fühlt sich mit ihm verbunden.

Wie die Kapelle zur Hauptkirche wurde

Der Michel wurde für die Ewigkeit gebaut - ganze drei Mal … Die meisten Hamburger kennen seinen legendären Weg von der kleinen Friedhofskapelle für die Pesttoten vor den Stadttoren bis hin zum Wahrzeichen der Freien und Hansestadt Hamburg. Was seine Geschichte und Architektur angeht, konnten Sie bereits in der HBZ 1/2016 und 3/2016 lesen. Seit der Michel 1685 neben den traditionellen Innenstadthauptkirchen St. Petri, St. Jacobi, St. Nikolai und St. Katharinen zur fünften Hauptkirche mit allen Rechten und Pflichten erhoben wurde, gibt es dort das Amt des Hauptpastors. Wir haben uns mit ihm über die Besonderheiten dieses Wahrzeichens unterhalten.

Von zu kleinen Schuhen

Zu seinem Amtsantritt befragt, teilt Hauptpastor Alexander Röder eine Erinnerung: "Bei der Verabschiedung von Helge Adolphsen, der 18 Jahre Hauptpastor war, waren viel Prominenz und Journalisten vor Ort. Man redete über die Meriten meines Vorgängers und hatte mich bescheiden auf einen alten Holzstuhl vor das Gestühl des Kirchenvorstands platziert. Irgendwann ging der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust ans Sprachpult und meinte: 'Ich sehe Herrn Röder da sitzen wie auf einer kleinen, armen Sünderbank und frage mich, was der wohl denkt.' Dann ging ein Journalist der Zeit ans Mikrofon und meinte: 'Herr Röder, lassen sie sich nichts von den zu großen Schuhen und zu großen Fußstapfen einreden. Nichts ist schlimmer als zu kleine Schuhe, die kneifen nämlich.' Das fand ich sehr ermutigend und ich wurde von einem sehr motivierten und unglaublich guten Team mit offenen Armen empfangen. Wir haben das Team in den letzten 13 Jahren noch weiter ausgebaut und sind eine sehr lebendige Gemeinde", so Röder. Drei Pastoren, zwei Kirchenmusiker, zwei Küster und zwei Büroangestellte sind die einzigen hauptamtlichen Mitarbeiter der Gemeinde, aber fast 700 Ehrenamtliche kümmern sich um alles, was mit dem Michel zu tun hat. Etwa 15 Prozent des Etats werden durch Kirchensteuereinnahmen gedeckt, da die Gemeinde mit etwa 3.200 Mitgliedern plus etwa 700 Umgemeindungen recht klein ist. Die restlichen Einnahmen setzen sich aus Spenden und Turmgebühren zusammen. Seit der Eröffnung der Elbphi mit dem kostenlosen Plazabesuch musste der Michel erhebliche Einbußen bei den Turmbesuchen hinnehmen. "Die Elbphilharmonie bekommt jährlich für ihren Erhalt knapp 7 Millionen Euro aus dem Etat der Stadt - da können die sich dann auch leisten, die Aussicht kostenlos anzubieten. Wir leider nicht", so Röder.

Kaltohrkuschel und der Wunsch nach Ewigkeit

Dass der Michel ein beliebter Ort für Taufen, Hochzeiten und Trauerfeiern ist, weiß jeder Hamburger. Ob Loki und Helmut Schmidt oder James Last - fast jeder Hamburger, der sich mit dem Michel verbunden fühlt, möchte hier auch seine letzte Ehrung bekommen. Aber auch Nicht-Christen und Nicht-Hamburger können sich seit 25 Jahren mit dem Michel verbinden. Bei der Aktion "Was bleibt?" geht es um eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und dem, was danach kommt. Vor 25 Jahren zusammen mit der HASPA initiiert, als der Michel baufällig wurde, weil sich der Beton mit Wasser vollsog und die Stahlkonstruktion rostete, entstand die Aktion aus der Idee, einen Spenderdankort zu kreieren. Daraus wurde ein öffentlicher Gedenkort für alle. "Ob es die Geburt eines Kindes war, eine Erinnerung an Verstorbene oder was auch immer. Eine Tafel haben wir jetzt gerade von Familie Niemerszein, Inhaber mehrerer Edeka- Geschäfte, bekommen. Frau Niemerszein hatte die schweren Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg hier in der Krypta überlebt, sich daran erinnert, und ihre Verwandten kauften für sie eine Tafel. Ein Paar hat sich mit seinen Kosenamen 'Miefmuckelchen + Kaltohrkuschel' verewigt, was unser Kantor zum Anlass nahm, über diese und andere Kosenamen der Tafeln eine Motette zu verfassen", erzählt Röder schmunzelnd. Eine ganze Bronzetafel kostete bisher 10.000 Euro und eine Zeile 125 Euro. Sie kann in den HASPA-Filialen gekauft werden. Mit zusätzlich von der Stadt gepachteten 560 m² gibt es nun viel mehr Platz zur schöneren Gestaltung des Vorplatzes durch weitere Tafeln und architektonische Veränderungen. Einmal im Jahr verlegt der Hauptpastor gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden der HASPA drei bis vier Tafeln mit Posaunenchor und Sektempfang.

Musik und volkstümliche Feiern

Wussten Sie, dass man die Krypta für private Kammerkonzerte und Ähnliches mieten kann? Tanzen ist dort zwar nicht erlaubt, weil man sich auf geweihtem Boden und 2.100 Gräbern befindet (u. a. dem Grab von Carl Philipp Emanuel Bach). Wenn aber alles im Rahmen bleibt, gehen Hauptpastor Röder und sein Team der alten christlichen Tradition nach, das Leben auf den Gräbern der Toten zu feiern. Aber auch im Kirchenschiff über der Krypta wird viel musiziert. "Ich glaube, dass in die Musik sehr viel religiöses Gefühl auswandert, das ansonsten sprachlos geworden ist und nicht mehr geäußert wird, aber in der Musik wird es noch gelebt", meint Röder. "Brahms Requiem oder das Weihnachtsoratorium wirkten einfach ganz anders im kirchlichen Rahmen des Michels als beispielsweise in der Elbphi." Während der Krippenandacht kann man sich das Konzert übrigens nochmals kostenlos anhören - natürlich sind auch hier freiwillige Spenden erbeten. Weihnachten endet im Michel mit der Epiphanias-Lichterkirche, zu der schleswig-holsteinische Busunternehmen Kaffeefahrten anbieten. Meistens findet sie am Sonntag nach Epiphanias statt und fällt diesmal auf den 6. Januar. "Da kommt dann immer ein, wie wir es nennen, 'Wort eines prominenten Hamburgers' - also jemand, der bekannt ist, aber es wird nicht verraten, wer es sein wird. Wir hatten Politiker, Menschen aus Film- und Fernsehen. Letztes Jahr war es Aale-Dieter", so Röder.

Der Musikmix im Michel reicht von Klassik, Gospel, Jazz und Swing bis zu experimenteller Musik. Im November treten Gospelchöre aus Hamburg beim "Happy Day"-Konzert auf, dessen Einnahmen krebskranken Kindern im UKE zu Gute kommen; im Dezember locken die Adventskonzerte; vom Ersten Weihnachtstag bis Neujahr findet jeden Abend ein großer Gottesdienst mit Chor und Orchester statt und im Januar kommen die New Yorker Gospelchöre in den Michel. Profaner wird es, wenn am Samstag vor Aschermittwoch ein Faschingskonzert mit Posaunenchor oder jedes Jahr im Mai anlässlich des Geburtstags von Django Reinhardt ein Swing- und Gypsy-Jazz- Konzert in der Krypta stattfindet. Auch sonst zeigt sich der Michel sehr weltoffen: Jedes Jahr gibt es beispielsweise einen Motorradgottesdienst, den Eröffnungsgottesdienst des Hafengeburtstags und einen Erntedankgottesdienst, den seit 35 Jahren die Bäcker- und Konditoren- Innung ausstattet.

Hauptkirche Sankt Michaelis
Englische Planke 1
Tel.: (040) 37 67 80
www.st-michaelis.de, info@st-michaelis.de

Öffnungszeiten: (letzter Einlass 30 Minuten vor Schließung)
November bis März tägl. 10 bis 18 Uhr
April und Oktober tägl. 9 bis 19 Uhr
Mai bis September tägl. 9 bis 20 Uhr

Eintritt: Kirche, außer bei Konzerten, kostenlos
Turm: 5 Euro (ermäßigt 4 Euro),
Krypta: 4 Euro (ermäßigt 3 Euro)
Kombi für Krypta und Turm: 7 Euro (ermäßigt 6 Euro)

Öffentliche Verkehrsmittel: U3 Haltestelle Rödingsmarkt oder Baumwall, S1, S2, S3 Haltestelle Stadthausbrücke, Bus M6 und 37 Haltestelle Michaeliskirche


Die Michel-Türmer

Josef Thöne und sein Kollege Horst Huhn sind diplomierte Konzerttrompeter, Lehrer an der staatlichen Jugendmusikschule Hamburg und seit 26 Jahren die Michel- Türmer. Seit der alte Türmer 1992 in den Ruhestand ging, teilen sich Thöne und Huhn die Aufgabe, das Neustädter Viertel bis hinunter zum Hafen mit einem Choral in alle vier Himmelsrichtungen zu beschallen - an 365 Tagen im Jahr, Montag bis Samstag um 10 und 21 Uhr sowie Sonntag um 12 Uhr. Herr Thöne hat uns mit zu seinem täglichen Spiel auf dem Türmerboden genommen und mehr über diese mehr als 300 Jahre alte Tradition erzählt.

Als der alte Turmtrompeter in Rente ging, lebten beide Türmer im Viertel um den Michel. Sie wurden gefragt, ob diese alte Tradition nun abgeschafft werden sollte, die selbst während der Kriege und nachdem der Michel abgebrannt war, fortgeführt wurde - nach den Bränden auf provisorischen Holzgerüsten. Das war für die beiden keine Frage. Seitdem trompeten sie jeden Tag, bis auf einen in den 26 Jahren, als beide krank waren und ein Ersatz einspringen musste.

Zeitansager und Brandwächter

Morgens bei Sonnenaufgang öffneten sich die Stadttore und bei Sonnenuntergang schlossen sie sich. Wer dann nicht innerhalb der Stadttore war, hatte ein Problem. Mechanische Uhren gab es noch nicht. Ein Turmwächter hatte daher auf Kirchtürmen und Rathäusern die Aufgabe, zu bestimmten Uhrzeiten aus dem Turm heraus zu spielen, sodass die Leute die Uhrzeit wussten. Außerdem musste er nach Bränden Ausschau halten. "Die Brandfunktion haben wir heute zum Glück nicht mehr, weil die Umgebung des Michels nicht mehr so mit eng aneinander gebauten ärmlichen Holzhütten mit offenen Feuerstellen bebaut ist wie vor 300 Jahren", so Thöne.

Nach 20 Stufen mit dem Fahrstuhl

Seit dem Wiederaufbau vor mehr als 100 Jahren gibt es einen Fahrstuhl, der 2013 neu entwickelt wurde, da der alte eine kleine Kabine hatte, in die nur drei Leute passten, und so mit den Besucherströmen nicht mehr fertig wurde. Außerdem wurde damals nicht an Barrierefreiheit gedacht. Die Kirche und der Aufgang zum Turm sind zwar barrierefrei erreichbar, aber dann müssen 20 Stufen überwunden werden, bevor man mit dem inzwischen barrierefreien Fahrstuhl fahren kann. Rollstuhlfahrer müssen diese Stufen hoch- und runter getragen werden.

Wir befinden uns auf zwei Dritteln der Höhe des Turms auf dem Türmerboden. "Ganz oben ist es immer sehr windig und da würde man das Spiel nicht so wahrnehmen. Die beste Akustik gibt es bei Regen", erklärt Thöne. Im Fenster im Osten, wo die Sonne aufgeht, wird angefangen und dann dem Verlauf der Sonne folgend auf jeder Seite eine Strophe eines Liedes gespielt. Die Liederwahl orientiert sich am Kirchenjahr, das am ersten Advent beginnt. "Momentan sind wir in einer neutralen Zeit, aber es gibt auch Lieder für Advent, Weihnachten oder Ostern sowie spezielle Morgen- und Abendlieder. Wir haben hier auf dem Türmerboden ein Kalenderbuch, mit dem wir uns abstimmen, damit wir nicht alle drei Tage das Gleiche spielen. Es sollten immer etwa 14 Tage dazwischen liegen. Es gibt auch spezielle Lieder, die unsere Gemeinde auf etwas hinweisen. Wenn zum Beispiel morgens die Weise 'Lobet den Herrn' gespielt wird, dann weiß man, einer von den drei Pastoren hat Geburtstag." An zwei Gelegenheiten - Osternacht und Epiphanias - spielen die Türmer in traditioneller Tracht in der Kirche von der Kanzel aus. Man kann die Türmer auch auf den Türmerboden begleiten, wobei um eine Anmeldung gebeten wird.

Autor: VHSt
Fotos: (c) M. Zapf, (c) Arvid Knoll, (c) Stephan Wallocha, (c) Peter Vette, (c) St. Michaelis. Samira Aikas

HBZ · 11/2018
 
Weitere Meldungen:

Aufgeblättert: Buchtipp

Pfeffersäcke mit Nilpferdpeitsche

"Pfeffersäcke" - so nannte der Volksmund die durch Gewürzhandel wohlhabend gewordenen Kaufleute der norddeutschen Hanse spöttisch....
HBZ · 3/2024
 

Geschichten aus Hamburgs Geschichte

Das Chilehaus

Ikone des Backsteinimpressionismus: Das Chilehaus wurde vor 100 Jahren fertiggestellt...
HBZ · 3/2024
 

Nachwuchsnetzwerk zu Besuch

Neujahrsfeier YouNet

Auch in diesem Jahr fand die Neujahrsfeier des Nachwuchskräftenetzwerks YouNet in den Räumlichkeiten des Vereins Hamburger Staatsbeamten r. V. statt....
HBZ · 3/2024
 

Erfolgreichster Bildungsminister Deutschlands tritt ab

Schulsenator a. D. Ties Rabe

Es ist mehr als ungewöhnlich, dass ein scheidender Bildungsminister mit Lob überhäuft wird....
HBZ · 3/2024
 

Ihr Recht in der Praxis

Schlechte Bewertung - was tun?

Heute möchte ich Ihnen eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Thema "Beurteilung" vorstellen (Urteil des 2. Senats vom 12. Oktober 2023, Aktenzeichen 2 A 7.22) - ...
HBZ · 3/2024
 

Das Netzwerk des Führungsnachwuchses

Die Ratten-AG

Sie nennen sich selbst "Ratten". Es zeugt von Selbstbewusstsein und Humor, sich nach Tieren zu benennen, die viele eher als Schädlinge betrachten würden. Dabei gelten die Nager zugleich ...
HBZ · 3/2024
 
 
 
 

TOP